Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Daimler, zwei Fahrer
Curtis Stigers und Magnus Lindgren swingen mit der SWR Big Band beim Aalener Jazzfest
AALEN - Eine Band, zwei Frontleute: Was im Jazz so alles möglich ist, das durften die Besucher des 26. Aalener Jazzfests am Samstagabend im eigens aufgebauten, aber nicht ganz ausverkauften Spiegelzelt „Petite Bellevue“mitten in der Aalener Innenstadt erleben. Die SWR Big Band begleitete nacheinander und später auch gleichzeitig mit dem Flötisten Magnus Lindgren und dem Sänger Curtis Stigers zwei ganz unterschiedliche Jazzansätze.
Wenn man das englische Wort „big“mal nicht mit „groß“, sondern mit „mächtig“übersetzt, dann kommt man dem, was die SWR Big Band unter der Leitung des Heidenheimer Pianisten Klaus Wagenleiter abliefert, schon ziemlich nahe: Die 17-köpfige Formation ist eben der Daimler unter den Bigbands. Aber auch den kann man unterschiedlich fahren. Am „Steuer“saß in Aalen zunächst der preisgekrönte schwedische Saxofonist, Arrangeur und vor allem Flötist Magnus Lindgren. Und er wusste mit dem „Fahrzeug“umzugehen – Querflöte und Bigband, was für eine Kombination.
Der 43-jährige Wuschelkopf aus Västeras fasst seinen Begriff von Jazz sehr weit. Seine aktuelle CD „Stockholm Underground“widmet er ganz der Jazzgröße Herbie Mann, aber seine Inspiration, die holt er sich aus allen Ecken der Musik dieser Welt. „A Whiter Shade of Pale“von Procul Harum zum Beispiel, das locker schon 50 Jahre auf dem Buckel hat, hatten die meisten auf diese Weise noch nie gehört – als wäre es extra für diese Besetzung geschrieben. Etwas störend war bei den leisen Passagen allerdings das laute Heizungsgebläse des Zelts. Das sollten später am Abend auch noch Curtis Stigers und der Gitarrist Dominic Miller zu spüren bekommen.
Von den Nebengeräuschen verschont blieb aber „Hold on, I’m Coming“von Sam & Dave, Power pur. Und dass auch schlechte Hockeyteams aus Lindgrens Heimatstadt Inspiration sein können, dafür war das Stück „Rocklunda“Beweis genug. Im Intro griff Lindgren zudem zu Hilfsmitteln, die bei Jazz-Puristen nicht unbedingt gerne gesehen sind: der Loop-Technik. Mit Hilfe eines Fußpedals schneidet Lindgren knackige Sprengsel direkt mit und kann so mehrere Flöten akustisch übereinander legen. Das hat was von Zauberei, aber auch was Meditatives. Hörenswert ist es allemal und zudem eine schöne Möglichkeit für die Solisten, sich in den Vordergrund zu rücken. Klaus Graf am Saxofon, Marc Godfroid an der Posaune oder Karl Farrent an der Trompete nutzen dies ebenso wie Lindgren selbst, jetzt mit dem Saxofon. Die Sympathien hatte Lindgren auf jeden Fall auf seiner Seite, der Andrang zum Plaudern, zum Selfie und zur Unterschrift am CD-Stand war nach dem Auftritt groß.
Musikalischer Kurzurlaub
Pause, Schnitt – Curtis Stigers. Nach durchaus erfolgreichen Ausflügen in seichtere Musikgefilde hat der 53-jährige US-Amerikaner schon vor Jahren wieder in die etwas tieferen Jazzgewässer zurückgefunden. Kaum sieben Jahre ist es her, dass er den Echo-Jazz entgegennehmen durfte. Auch wenn er sich selbst vielleicht nicht so sieht, das Wort „smart“scheint wie für ihn erfunden. Graue Schläfen, große Stimme, George-Clooney-Lächeln. Nach nur wenigen Sekunden herrscht aufmerksame Stille im Zelt.
So war Sinatras „Come Fly With Me“als erstes Stück nicht nur die Aufforderung zu einem einstündigen musikalischen Kurzurlaub, sondern ein klares Signal für den Rest des Abends. „Ich liebe Sinatra, der ja nie ein Stück geschrieben hat. Aber wenn er eines sang, dann hat er es ganz zu seinem eigenen gemacht“, sagt Stigers. Auch wenn er sich den Rest des Abends gemeinsam mit Wagenleiter einen Witz daraus macht, Frank Sinatra zum Fritz zu machen, respektlos ist das nicht. Im Gegenteil. „Ich singe auch Sachen, die Sinatra hätte singen sollen“, so Stigers und lotst das Publikum weiter zum selbst komponierten „Hooray for Love“. Nach Cole Porters „I Get A Kick Out of You“kommt auch Lindgren nochmals auf die Bühne. Und die Bigband swingt dazu. Fazit: Großes Kino in Dolby-Surround und 3D.