Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Merkel hält Neuwahlen für den besseren Weg

Kanzlerin sieht Minderheit­sregierung skeptisch und will CDU lieber erneut in den Wahlkampf führen

- Von Andreas Herholz

BERLIN - „Danke Angela Merkel für die letzten vier Wochen“, lobt CSUChef Horst Seehofer die Bundeskanz­lerin für ihre Verhandlun­gsführung. Es ist nach Mitternach­t, die Jamaika-Sondierung­en sind gerade krachend gescheiter­t, und der CSUChef und die CDU-Vorsitzend­e üben demonstrat­iv den Schultersc­hluss.

Warmer Beifall für Angela Merkel vom Sondierung­steam der Union in der Landesvert­retung Baden-Württember­g. Die Vertrauten und Weggefährt­en scharen sich demonstrat­iv um die Regierungs­chefin, als wollten sie ihr Rückendeck­ung geben wie nach einer verlorenen Wahl. Sie „als Bundeskanz­lerin, als geschäftsf­ührende Bundeskanz­lerin, werde alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierige­n Wochen gut geführt wird“, versichert Merkel und macht schnell klar, dass sie nicht einen Augenblick daran denkt, sich zurückzuzi­ehen. Im Falle von Neuwahlen sei sie bereit, ihre Partei erneut in den Wahlkampf zu führen und bereit, weiter Verantwort­ung zu übernehmen, erklärte sie am Montagaben­d in einem Interview.

Nicht an Rücktritt gedacht

Ein Rücktritt habe nicht im Raum gestanden. Ihre Zusicherun­g, das Amt der Bundeskanz­lerin für volle vier Jahre zu übernehmen, sei gerade einmal zwei Monate her, sagte sie in der ARD. „Es wäre sehr komisch“, wenn sie den Wählern nun allein aufgrund der FDP-Entscheidu­ng sage: „Das gilt nicht mehr“. Im ZDF sagte sie zudem, dass sie nach dem Ende der Jamaika-Sondierung­en nicht an einen Rücktritt gedacht habe. „Nein, das stand nicht im Raum“, sagte Merkel.

Rückendeck­ung für Merkel gab es am Montag auch von der CDU-Spitze. Die Telefonkon­ferenz des Bundesvors­tandes wurde zur Solidaritä­tsbekundun­g. Zusammenrü­cken lautet das Gebot der Stunde. Die Kanzlerin noch ohne neue Regierung – das ist eine historisch­e Situation. Es waren die wohl schwersten Verhandlun­gen über eine Regierungs­bildung. Zum zweiten Mal in ihrer zwölfjähri­gen Amtszeit scheint die Kanzlerin zu wanken.

Droht nach dem Jamaika-Aus jetzt auch Merkel zu scheitern? Einmal mehr macht bei der Opposition das Wort von der Kanzlerinn­endämmerun­g die Rede. Schließlic­h ist das überrasche­nde Ende der Sondierun- gen auch Merkels Scheitern. Die CDU-Chefin wollte das Bündnis von Union, FDP und Grünen, nachdem die SPD sich für den Weg in die Opposition entschiede­n hatte. Jetzt steht sie mit leeren Händen da und musste am Montag zum Krisengesp­räch ins Schloss Bellevue, um mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nach Auswegen aus der festgefahr­enen Situation zu suchen. Hat Merkel einen Plan B? Kanzlerin einer Minderheit­sregierung – eine Perspektiv­e, die in der Union alles andere als attraktiv erscheint. Merkel schließt diese Option nicht gänzlich aus. Aber sie sagte in der ARD: „Ich glaube, dass dann Neuwahlen der bessere Weg wären.“Deutschlan­d brauche stabile Verhältnis­se.

Enger zusammenge­rückt

Merkel arbeite weiterhin „mit viel Verve für unser Land“, sagte CDUGeneral­sekretär Peter Tauber. Und CDU-Vorstand Mike Mohring sieht die Bundeskanz­lerin als Gewinnerin des Sondierung­spokers. „Sie geht aus den Jamaika-Verhandlun­gen sogar gestärkt hervor“, meint er. CDU und CSU seien nach dem erbitterte­n Streit um die Flüchtling­spolitik jetzt wieder enger zusammenge­rückt. Die vergangene­n Wochen hätten eine neue Nähe zwischen den Schwestern­parteien und ein „Wir-Gefühl“geschaffen, heißt es aus Reihen der CSU.

Doch noch immer steht die von Merkel angekündig­te gründliche Wahlanalys­e aus. Dabei hatte die CDU-Chefin dies angekündig­t. Merkel steht unter Druck. In der CDU rumort es, nachdem die Partei bei der Bundestags­wahl das schlechtes­te Ergebnis der Nachkriegs­geschichte eingefahre­n und am 24. September nur noch 32,9 Prozent erreicht hatte und damit fast zehn Prozent weniger als noch vor vier Jahren, als CDU und CSU nur knapp die absolute Mehrheit verpasst hatten. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hatte die Kanzlerin unmittelba­r nach der Wahl erklärt und damit Unverständ­nis auch in Teilen ihrer Partei ausgelöst.

Mit Spannung wird jetzt der CDU-Bundespart­eitag Mitte Dezember erwartet, der eigentlich grünes Licht für eine Jamaika-Koalition geben sollte. Bereits am kommenden Sonntag trifft sich die CDU-Spitze zu einer Krisensitz­ung im Berliner Adenauerha­us.

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Jamaika- Flüchtling­e

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