Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Musikerin ohne Filter
Charlotte Gainsbourg veröffentlicht eine neue CD
BERLIN (dpa) - Soll sie Englisch singen oder Französisch? Charlotte Gainsbourg empfindet das als Entscheidung über Nähe und Distanz. „Ich fühle, dass die Sprache einen großen Unterschied macht“, sagt die französische Künstlerin und blickt sich nachdenklich um. Sie sitzt in Jeansjacke auf dem Sofa einer nobeln Berliner Hotel-Suite. Die Sprache habe etwas mit Intimität zu tun. Mit Gefühlen. Manchmal möchte die 46-Jährige sie zulassen. Manchmal verbergen.
Die Schauspielerin („Antichrist“, „Nymphomaniac“, „Schneemann“) und Sängerin, Tochter der französischen Künstlerlegende Serge Gainsbourg, spricht beide Sprachen. Auf ihrem neuen Album „Rest“singt sie oft Französisch. Oder sie wechselt innerhalb eines Liedes von einer Sprache zur anderen. So wie in den ersten zwei Songs „Ring-A-Ring O’Roses“und „Lying with You“mit vielen hingehauchten Passagen in ihrer typisch sanften Stimme. Schauspielerin zu sein sei zwar ihr Hauptberuf: Sich mit ganzer Person einsetzen tue sie allerdings eher für die Musik. Beim Dreh sei schließlich der Regisseur der Bestimmer, nicht sie.
Zwischen Gainsbourgs CDs liegen dabei oft lange Pausen. Für das aktuelle Album hat sie vier Jahre gebraucht. „Ich bin ein langsamer Mensch. Mit meinen eigenen Projekten bin ich oft zögerlich, ich bin abgelenkt.“
Dabei sucht und findet die Künstlerin stets andere Größen, die sie unterstützen. Am Anfang ihrer Karriere als Teenager hatte das Skandal-Duett „Lemon Incest“mit ihrem Vater Serge gestanden. Auf ihr erstes Album „Charlotte for ever“(1986) folgte eine zwei Jahrzehnte lange musikalische Stille. Der Tod des Vaters 1991, der fast alle Songs für sie geschrieben hatte, ließ die Tochter zweifeln, ob sie je wieder singen wollte.
Dann erschien 2006 das Pop-Album „5.55“, der Titel meint die frühe Uhrzeit, als Anspielung auf schlaflose Nächte. Für „Rest“konnte Charlotte Gainsbourg unter anderem Guy-Manuel de Homem-Christo von Daft Punk und den französischen Elektro-Musiker SebastiAn gewinnen. Ein Lied, „Songbird in A Cage“, hat Paul McCartney geschrieben.
Das neue Album ist in New York entstanden. Dorthin ging Gainsbourg mit ihrer Familie nach dem Tod ihrer Halbschwester Kate. Die Sängerin wollte so ihre Trauer bewältigen. „Ich hatte das Gefühl, dass ich in Paris, in Frankreich, untergehe“, sagt sie.
Mit Absicht widersprüchlich
Bis auf den McCartney-Song hat sie diesmal ihre Texte selbst geschrieben – „zum ersten Mal“, erzählt sie stolz. „Es sind sehr persönliche Stücke, auch über den Tod meiner Schwester.“So handelt „Les Oxalis“vom Gang zum Friedhof. Dabei habe sie für ihre „kleine Stimme“als Kontrast bewusst oft kühle Elektronik und auch härtere Beats gewählt. „Ich finde, dass man zum Friedhofslied auch gut tanzen kann“, sagt sie. Das Widersprüchliche, das sei genau ihre Absicht. Oder noch direkter: „Das bin ich, ohne Filter.“