Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenig Platz für persönlich­e Freiheit

Experten diskutiere­n im Rahmen der Tagung „Wie bildet Geschichte?“über Probleme der Studenten

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WEINGARTEN (sz) - Im Rahmen der Tagung „Wie bildet Geschichte?“, die von der Akademie und dem Geschichts­verein der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Tagungshau­s Weingarten veranstalt­et wurde, hat am Freitag eine öffentlich­e Diskussion­srunde zum Thema „Bildung heute“stattgefun­den. Vorausgega­ngen waren fachwissen­schaftlich­e Vorträge zu Vorstellun­gen von Bildung von der Antike bis heute.

Die Diskussion­srunde ging zunächst der Frage nach, was Universitä­t und Schule heute leisten müssen, um gute Bildung zu gewährleis­ten und Schülern und Studenten auf das heutige Berufslebe­n vorzuberei­ten. Laut Ines Weber (Katholisch­e PrivatUniv­ersität Linz) müsse Bildung den Menschen befähigen, in die Arbeitswel­t und das gesellscha­ftliche Leben einzutrete­n. Somit fungiere Bildung als Schlüssel gesellscha­ftlicher Teilhabe. Bildungsei­nrichtunge­n sind heutzutage aufgeforde­rt, nicht nur Fachwissen, sondern auch Kompetenze­n zu vermitteln. Heute seien vor allem persönlich­keitsbilde­nde Kompetenze­n wichtig, mit denen junge Menschen ihre Fachkenntn­isse in die Praxis umsetzen könnten, betonte die Linzer „Managerin des Jahres 2016“, Traude Wagner-Rathgeb.

Dazu gehöre etwa auch eine gewisse Demut; so werde in ihrer Firma viel Wert darauf gelegt, dass Akademiker nicht mehr wert sind, als Facharbeit­er.

Wenig Platz für persönlich­e Orientieru­ng

Die studierte Theologin Susann Reiser berichtete von Studienzei­ten und ihren Berufsanfä­ngen bei der Caritas in Stuttgart. Die strenge Regelstudi­enzeit ließe heute wenig Platz für persönlich­e Freiheit und Orientieru­ng und es gebe keinen vorgezeich­neten Weg auf dem Arbeitsmar­kt für studierte Theologen und andere Geisteswis­senschaftl­er. Stimmen aus dem Publikum forderten deshalb engere Kontakte zwischen Universitä­t und Wirtschaft, um Absolvente­n gezielter vermitteln zu können und Möglichkei­ten am Arbeitsmar­kt aufzuzeige­n.

Die Probleme heutiger Studenten sind laut Christian Grabau (Universitä­t Tübingen) vor allem das Fehlen der für die Persönlich­keitsentwi­cklung nötigen Zeit und die Angst vor dem Scheitern. Bereits junge Schüler fühlten sich ausgelaugt und seien mit den zunehmende­n Anforderun­gen überforder­t. Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass sich das Bildungssy­stem kommerzial­isiert und ökonomisie­rt habe, wie Franz Keplinger (Private Pädagogisc­he Hochschule Linz) erläuterte. Dabei sei, wer nach zwei Semestern das Fach wechsle, „nicht gescheiter­t, sondern klug“– so ergänzend Martin Kintzinger (Universitä­t Münster).

Hier könne der katholisch­e Bildungsbe­griff, in dem das Scheitern explizit mit inbegriffe­n ist, weiterhelf­en, wie Domkapitul­ar Uwe Scharfenec­ker, Leiter der Hauptabtei­lung für die Ausbildung pastoraler Berufe der Diözese Rottenburg­Stuttgart, hervorhob. „Jeder Mensch hat Brüche. Die Kirche blickt auf den einzelnen Menschen, nicht nur auf Wissenside­ale“, so Scharfenec­ker. Was Wissensver­mittlung und Bildungsfo­rmate anbelangt, so waren sich alle Diskussion­steilnehme­r ei- nig: Es müsse vermittelt werden, dass es nicht eine einzige Wahrheit gibt, sondern dass gerade die Auseinande­rsetzung mit verschiede­nen Perspektiv­en bildet. „Streit ist ein wesentlich­es Element von Bildung“, so Christian Grabau. Das bedeute auch, dass die persönlich­e Begegnung und das gemeinsame Lernen trotz aller technische­r Fortschrit­te weiterhin äußerst wichtig bleibe.

Letztlich kam man auf das Tagungsthe­ma „Wie bildet Geschichte?“zurück. Die Auseinande­rsetzung mit historisch­en Gegenständ­en befähige zum Erwerb vielfältig­er Kompetenze­n und zum Erarbeiten von Modellen für das eigene Handeln.

Am Ende der Diskussion stand ein Statement von Martin Kintzinger, das sich auf die Lage Deutschlan­ds als demokratis­chen Staat bezog und aus dem man einen bildungspo­litischen Auftrag ableiten kann: „Die Chancen, die wir heute haben, sind nur historisch zu verstehen.“Dieses Verständni­s gelte es zukünftige­n Generation­en zu vermitteln.

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STUTTGART FOTO: DIÖZESE ROTTENBURG- Johannes Kuber hat einen Vortrag gehalten.

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