Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schulz vollzieht Kurswechsel
SPD wird nun doch über Große Koalition verhandeln
BERLIN (dpa) - SPD-Chef Martin Schulz ist vom kategorischen Nein zu einer Großen Koalition abgerückt und will die Entscheidung über jedwede Regierungsbeteiligung den Parteimitgliedern überlassen. „Sollten die Gespräche dazu führen, dass wir uns, in welcher Form und in welcher Konstellation auch immer, an einer Regierungsbildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen“, sagte Schulz am Freitag in Berlin. Aber: „Es gibt keinen Automatismus in irgendeine Richtung.“Bundespräsident FrankWalter Steinmeier lud Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und Schulz für Donnerstag zu einem gemeinsamen Gespräch ins Schloss Bellevue ein.
Am Sonntag waren die JamaikaSondierungen von Union, FDP und Grünen gescheitert. Steinmeier hatte die Parteien daraufhin energisch zu einem neuen Anlauf für eine Regierungsbildung aufgerufen.
BERLIN - Kommenden Donnerstag um acht Uhr abends: Spitzentreffen am Abend auf Schloss Bellevue. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird kommen, CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz. Es scheint auf eine Große Koalition hinauszulaufen. Schulz sicherte der Basis aber am Freitag Mitentscheidung über eine etwaige Regierungsbeteiligung zu.
Steinmeier als erster Mann im Staate hat sich in die Mission gestürzt, zwei Monate nach der Bundestagswahl endlich die Regierungsbildung auf den Weg zu bringen. Er nutzt als Genosse mit ruhendem Parteibuch das Vertrauensverhältnis, Schulz ins Gebet zu nehmen. Er hätte es auch in der Hand, Neuwahlen einzuleiten, doch davon hält er nichts. Es sei „bemerkenswert“, wie intensiv Steinmeier die Mission Regierungsbildung anpacke, hieß es am Freitag im Willy-Brandt-Haus. Dass der Bundespräsident nicht nur mit allen Akteuren spreche, sondern entschlossen nach Lösungen suche, macht Eindruck – und hat die Sozialdemokraten auch überrumpelt.
„Kein Automatismus“
„Es gibt keinen Automatismus in irgendeine Richtung!“Martin Schulz wollte am Freitag den Eindruck vermeiden, er sei komplett umgefallen und die Große Koalition schon so gut wie unter Dach und Fach. Gesprächsbereitschaft und den Mut, Verantwortung zu übernehmen, das signalisiert der SPD-Chef, einen Tag nach seinem ersten Treffen mit Steinmeier und der dramatischen Nachtsitzung der SPD-Führungsspitze, in der ein Kurswechsel eingeleitet und die kategorische GroKo-Absage vom vergangenen Montag kassiert worden war. Acht Stunden dauerte die nächtliche Krisensitzung. Um 1.31 Uhr schließlich trat Generalsekretär Hubertus Heil vor die Kameras, um Spekulationen und Gerüchten entgegenzutreten, dass Parteichef Martin Schulz vor dem Aus stehe. „Die SPD ist der festen Überzeugung, dass gesprochen werden muss“, sagte Heil.
Steinmeier findet sich auf einmal in der wichtigsten Rolle seit Beginn seiner Amtszeit. Der oberste Krisenmanager nimmt das Sondieren selbst in die Hand. Schulz hingegen steckt in der Bredouille. Wie soll er die Partei, die sich nach der verheerenden Schlappe bei der Bundestagswahl auf die Opposition festgelegt hatte, nun zurück in die ungeliebte GroKo als Merkels Juniorpartner führen? Mit dem „dramatischen Appell“Steinmeiers und dem Verweis auf besorgte Anrufe der europäischen Nachbarn über das politische Vakuum in Berlin versuchte er, den Gesichtsverlust zu vermeiden. Das letzte Wort, so die Zusage des Parteichefs, werde die Basis haben: „Sollten die Gespräche dazu führen, dass wir uns, in welcher Form oder Konstellation auch immer, an einer Regierungsbildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen.“Nächsten Donnerstag werde es noch keinerlei Sondierungen geben, von „Lagegesprächen“ist in der Parteizentrale die Rede. Der Parteitag in zwei Wochen müsste dann gegebenenfalls grünes Licht für die Aufnahme von Sondierungsgesprächen geben. Vor Koalitionsgesprächen müsste wohl nochmal ein kleiner Parteitag zusammengetrommelt werden, hieß es am Freitag. Und am Ende dann der Mitgliederentscheid.
Jusos lehnen Große Koalition ab
Bürgerversicherung, Solidarrente, Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit: Die Kernpunkte des SPD-Wahlprogramms werden nun wieder hervorgeholt, an einem Forderungskatalog wird gearbeitet, der vom Parteitag in zwei Wochen als Grundlage für Sondierungsgespräche abgenickt werden soll. Ganz genau haben sich die Genossen angeschaut, zu welchen Kompromissen die Union in den Jamaika-Sondierungen bereit gewesen wäre. Dahinter wird die Union nicht mehr zurückgehen können.
Der SPD-Parteinachwuchs lehnt eine Neuauflage der Großen Koalition ab. Dies machte die scheidende Bundesvorsitzende der Jungsozialisten, Johanna Uekermann, am Freitag in Saarbrücken zum Auftakt des Juso-Bundeskongresses klar. „Es darf keine Neuauflage der Großen Koalition geben“, sagte sie unter frenetischem Beifall der 300 Delegierten.