Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Klage wegen Atomausstieg
OEW fürchten Kosten im Falle einer Pleite der EnBW
STUTTGART (dpa/tja) - Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) ziehen wegen eines Gesetzes vor das Bundesverfassungsgericht, das die Haftung von Atomaltlasten regelt. Das Unternehmen sieht in dem Gesetz zum Atomausstieg nach eigenen Angaben eine rechtsstaatswidrige Ausweitung der Haftung für Abbau- und Entsorgungskosten auf Gesellschafter, die bislang nicht in der Pflicht standen. Der Zweckverband besteht aus neun Landkreisen in Baden-Württemberg – Alb-Donau, Biberach, Bodensee, Freudenstadt, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Sigmaringen sowie Zollernalb – und hält 46,75 Prozent der Anteile am Energiekonzern EnBW.
Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke fürchten, dass im Fall einer Pleite der EnBW, die Landkreise und letztendlich der Steuerzahler zahlungspflichtig werden könnten, da der Zweckverband selbst nicht insolvenzfähig sei.
STUTTGART - Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) ziehen vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Grund: Sie fürchten, durch ein Gesetz nachträglich für Kosten des Atomausstiegs haften zu müssen. Das wäre eine „existenzielle Bedrohung“für die neun Landkreise, die die OEW tragen, sagte deren Chef Lothar Wölfle, Landrat des Bodenseekreises, am Montag in Stuttgart. Bei einer EnBW-Pleite müssten sie für Kosten aufkommen. Diese halten die OEW-Verantwortlichen derzeit zwar für höchst unwahrscheinlich, wollen aber auf Nummer sicher gehen.
Die neun Landkreise Alb-Donau, Biberach, Bodensee, Freudenstadt, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Sigmaringen und Zollernalb gehen mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Nachhaftungsgesetz vor. Der Bundestag hatte es im Januar beschlossen. Es sieht vor, das Aktionäre eines Unternehmens für Kosten haften, die im Zuge des Atomausstiegs anfallen. Diesen hatte der Bund nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima beschlossen.
OEW fürchtet Milliardenkosten
Die EnBW muss ihre Atommeiler in Neckarwestheim, Philippsburg und Obrigheim abreißen. Die Kosten müssen die Betreiber tragen. Die EnBW hat 3,65 Milliarden Euro dafür zurückgestellt. Um zu vermeiden, dass Konzerne sich vor diesen Rückbaukosten drücken, gibt es nun das Nachhaftungsgesetz.
Dieses bricht aus Sicht der OEW mit einem Grundsatz des Gesellschaftsrechts. Geht ein Unternehmen Pleite, verliert ein Aktionär nur den Gegenwert seiner Anteile. Darüber hinaus haftet er aber nicht für Schulden des Unternehmens. Genau das würde das neue Gesetz ändern – und die OEW bei einer EnBW-Pleite in die Pflicht nehmen. Etwas mehr als eine Milliarde Euro könnten dann an Kosten auf die neun OEW-Landkreise zukommen.
Sie sind einer der großen Gesellschafter der EnBW und halten 46,75 Prozent der Anteile, ebenso wie das Land Baden-Württemberg.
Heiner Scheffold (CDU), Landrat des Alb-Donau-Kreises, schilderte mögliche Folgen einer EnBW-Pleite: „Wir wären von heute auf morgen zahlungsunfähig und könnten unsere Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllen – müssten also Kliniken schließen, könnten nicht mehr in Schulen investieren“. Im Grundsatz sei der Gedanke des umstrittenen Gesetzes richtig: Es soll vermeiden, dass Steuerzahler für den Abbau der AKW zahlen müssen, weil sich Konzerne aus der Haftung stehlen. Doch durch „handwerkliche Fehler“im Gesetz könne im Falle einer EnBW-Pleite das Gegenteil eintreten.
Aus Sicht der Landräte ist dieses Risiko zu hoch. Auch wenn OEWGeschäftsführerin Barbara Endriss eine Insolvenz der EnBW für sehr unwahrscheinlich hält: „Die Geschäftszahlen sind gut, wir sind zuversichtlich, dass die EnBW auf dem richtigen Weg ist.“
Das Land bleibt gelassen
Die Landesregierung als zweiter großer EnBW-Aktionär bleibt gelassen. „Wir gehen fest davon aus, dass die EnBW ihren Verpflichtungen selbst nachkommen wird und nachkommen kann“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Allerdings ist das Land in einer besseren Position als die OEW. Diese hat nur ein Jahr Zeit, gegen ein Gesetz vorzugehen. Bundesländer können das auch später tun.
Strittig unter Juristen ist ein rechtliches Detail mit großer Bedeutung in der Unternehmenspraxis. Gilt das neue Nachhaftunggesetz auch, wenn kein Aktionär eine Mehrheit an einem Unternehmen hält? Die Juristen der Landesregierung sagen: Nein. Hätten sie recht, wäre die OEW aus dem Schneider. Denn sie hält ebenso wie das Land weniger als die Hälfte der Anteile an der EnBW.
Doch die OEW-Anwälte sehen das anders und wollen die Frage höchstrichterlich klären. Sie ist brisant. Bis 2015 hatten sich Land und OEW stets abgesprochen, wenn im Aufsichtsrat der EnBW Entscheidungen anstanden. 2015 lösten Land und OEW diese Vereinbarung auf. Damals waren erste Entwürfe des neuen Gesetzes zur Nachhaftung bekannt geworden. Man wollte mit dem Ende der Absprachen vermeiden, in Haftung genommen zu werden.
Die Konsequenzen schilderte Wölfle am Dienstag so. „Wir würden den Weg der EnBW gerne begleiten und halten das als Anteilseigner für unsere Aufgabe. Wichtige Entscheidungen können wir jedoch nicht mehr mit dem Land vorbereiten“.
Bis zu einer endgültigen Klärung wird es aber dauern. Zunächst muss das BVerfG entscheiden, ob es die Beschwerde annimmt. Das kann ein Jahr in Anspruch nehmen. Bis eine Entscheidung fällt, könnten zwei bis drei weitere Jahre ins Land gehen.