Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von St. Leonhard bis zur Stadtimkerei
Die neuen „Altstadtaspekte“widmen sich Themen der Ravensburger Stadtgeschichte und -entwicklung
RAVENSBURG (gp) - Für den eiligen Autofahrer, der von Wangen kommend in Richtung Altstadt unterwegs ist oder sich mal wieder über einen Stau ärgert, ist sie kaum noch als solche zu erkennen: die Leonhardskapelle zur Rechten im Ölschwang mit ihren profanen Anbauten, gestiftet 1411 von dem Ravensburger Patrizier Johannes Erler. Dabei sei die Kapelle in ihrer ursprünglichen Erscheinungsform ein überaus stattlicher Bau gewesen, der eher an eine Kirche erinnerte, stellt Beate Falk vom Stadtarchiv in einem sehr lesenswerten Beitrag in den „Altstadtspekten 2017/18“des Bürgerforums Altstadt Ravensburg fest.
Ihr gründlich recherchierter Artikel über St. Leonhard, wo schon sehr lange kein Gottesdienst mehr gefeiert worden ist, dürfte nicht der einzige Lesestoff in der 120 Seiten starken 15. Ausgabe der Altstadtspekte sein, der die stadthistorisch interessierten Ravensburger zur Lektüre verlockt. Insgesamt 20 Kapitel, verfasst von insgesamt 15 Autoren, umfasst die Neuerscheinung. Im Vorwort betont Dieter Hawran, dass sich diese Ausgabe verstärkt auch ökologischen Fragen widmet und verweist auf einen Beitrag von Dieter Fuchs zum Thema Lebensqualität und Schadstoffbelastung in Ravensburg. Dieser Autor schlägt vor, „OB Rapp setzt den Schutz der menschlichen Gesundheit auf den ersten Platz seiner Agenda und nicht länger Wohnungen und Flüchtlinge“.
Die BUND-Arbeitsgruppe Stadtentwicklung beleuchtet in einem weiteren Beitrag die Konsequenzen des Klimawandels für Ravensburg. Autoren vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) berichten über ihre Aktivitäten mit dem Ziel, Radfahren in und um Ravensburg attraktiver zu machen. Maximilian Dechant, Mitglied beim Nabu, widmet sich in seinem Aufsatz den heimischen Dohlen. Sehr vergnüglich zu lesen: Der Beitrag von Hawran über seine Erfahrungen als „Stadtimker.“
Beate Falk ist in den Altstadtspekten auch noch mit einem zweiten Kapitel vertreten. Darin geht es um die Geschichte des Rahlenhofes, dessen Pächter, Christof Schaaf, Einblick in die von ihm betriebene biologische Landwirtschaft gibt. Auch erfährt der Leser, dass der Rahlenhof ein Lernort für Kinder ist. Einem kuriosen Fund bei der Lederhaus-Sanierung widmet sich Rainer Ewald. Alfred Lutz schreibt fundiert über den bedeutenden Ravensburger Architekten Paul Kiderlen, der eine ganze Architektendynastie begründet hat und von dessen Können noch heute stadtbildprägende Gebäude zeugen. Über die Fortschritte bei der Sanierung des Kreuzwegs Schwarzwäldle informiert Ralf Reiter vom Förderverein.
Stiftung ist als gemeinnützig anerkannt
Zur „Bürgerstiftung Zukunft Altstadt Ravensburg“, die sich zum Ziel gesetzt hat, Gebäude, Gärten, Freianlagen und Kunstwerke, die prägend für das Ravensburger Stadtbild sind, zu erhalten, findet sich in den neuen Altstadtaspekten ebenfalls ein Beitrag, verfasst von Hawran, der dem fünfköpfigen Vorstand angehört. Ihm ist zu entnehmen, dass das Regierungspräsidium Tübingen inzwischen die Stiftung anerkannt und das Finanzamt Ravensburg sie als gemeinnützig eingestuft hat. Es handelt sich um eine sogenannte „Verbrauchsstiftung“, also um ein Konstrukt, das sein Vermögen bis auf einen Restbetrag innerhalb von zehn Jahren ausgeben kann. „Als Erstes ist es nun notwendig, das Stiftungsvermögen zu erhöhen, um auch handlungsfähig zu sein“, appelliert Hawran an die Bürgerschaft, zu spenden. „Eine im Dornröschenschlaf liegende, denkmalgeschützte Immobilie haben wir bereits im Auge“, lässt er durchblicken, verrät aber nicht, worum es sich dabei handelt.
Auch aus seiner Feder ist ein Artikel über vom Bürgerforum als wertvoll eingestufte Gebäude, die vom Abriss bedroht sind. Man begreife sich inzwischen nicht mehr nur als „Gewissen der Altstadt“, sondern zunehmend der weiteren, ja gesamten Stadt. Der Substanzverlust im gründerzeitlichen Gürtel schreite ungebremst voran, sorgt sich der Autor. Seine Befürchtung: Gehe das Wachstum so weiter, „werden wir uns bald zu einem Großstadtraum zwischen Friedrichshafen und Baindt mit weit über 150 000 Einwohnern entwickelt haben.“
Weitere Beiträge in dem „Heftle“, das eher als ausgewachsenes Buch gelten kann, haben Johannes und Lukas Eichler (die Bogenleuchten vor dem Konzerthaus) sowie Barbara Schmied und Thomas Hartmann („Ein Bahnhofsschuppen darf weiterleben“) beigesteuert, nicht zu vergessen den Standpunkt von Ulrich Julius Jassniger zum Thema: Wie viele neue Visionen braucht eine Stadt? Reizvoll, das Pro und Contra zweier erfahrener Architekten des Bürgerforums, Volker Petzold und Rainer Ewald zum Neuen Rathaus, Seestraße 9, und zum neuen Haus der katholischen Kirche, Wilhelmstraße 2 bis 4.
Wer die traditionellen Stadtrundgänge mit Hawran in den letzten beiden Jahreshauptversammlungen des Bürgerforums versäumt hat, der kann sie in den Altstadtaspekten in aller Ruhe nachvollziehen. Erhältlich ist die Neuerscheinung bei der Tourist-Info im Lederhaus und im Buchhandel.