Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das Wunder von München
Puccinis dreiteiliger Opernabend „Il trittico“am Nationaltheater wird zum Triumph Kirill Petrenkos
MÜNCHEN - Nach 60 Jahren ist Puccinis Triptychon bestehend aus den Opern „Il tabarro“, „Suor Angelica“und „Gianni Schicchi“wieder am Nationaltheater München zu sehen. Lotte de Beer hat diese Raritäten inszeniert, Kirill Petrenko hat „Il trittico“dirigiert. Aber was heißt „dirigiert“? Der Maestro hat „Suor Angelica“zu neuem Leben erweckt. Es war, als wäre dieses Werk überhaupt erst entdeckt worden.
Puccinis Dreiteiler schrumpfte gleich nach der Uraufführung an der Metropolitan Opera in New York 1918 zum Zweiteiler. Das lyrische Intermezzo „Suor Angelica“zwischen dem düsteren Ehebruchsdrama und der virtuosen Erbschleicher-Farce fiel beim Publikum schnöde durch, diesseits wie jenseits des Atlantiks. Unsere säkularisierte Zeit disqualifizierte die Tragödie einer jungen Adeligen als religiösen Kitsch: Wegen eines „Fehltritts“in ein Kloster verbannt, Selbstmord nach dem Tod ihres Kindes, darf sie in den letzten Augenblicken ein Wunder erleben. Die Himmelskönigin führt ihr das Knäblein zu, Engelschöre stimmen das „Salve Maria“an. Jetzt, 60 Jahre nach der letzten Aufführung in München, durfte man im Nationaltheater überlegen, ob nicht damals das Publikum bei „Suor Angelica“durchgefallen ist.
Eine Wiedergeburt
Kirill Petrenko musizierte mit demselben Respekt, Intellekt und derselben Hingabe und Intensität, die wir aus seinen Interpretationen von Mozart über Wagner bis zu zeitgenössischen Werken bewundern. Er machte mit dem fabelhaften Orchester und den Sängerinnen begreiflich, dass Puccini, einer alten Kirchenmusikerfamilie entstammend, mit der naiven Frömmigkeit des Italieners das Mirakel ganz ernst nahm. Und die Regisseurin Lotte de Beer, die den Tod als Grundthema des Tryptichons sieht, verweigerte sich nicht der Verklärung: ein Kreuz leuchtet inmitten der Gestalten.
Puccini war auch mit dem Alltag der Bräute Christi vertraut, besuchte er doch oft seine Lieblingsschwester Igina, Madre Superior in einem Kloster nahe Lucca. Er wusste von den kleinen Freuden hinter den Mauern, aber auch von harten Konflikten, dem widerspruchlosen Gehorsam und dem Machtmissbrauch und erspürte wohl die Klostermystik in seinen Klangszenen.
Das alles findet sich in der fein gewebten Partitur von „Suor Angelica“. Kirill Petrenko bringt sie kongenial zum Klingen mit seinem Sinn für die verästelten Gefühle der Kreatur, Farben, Dynamik, blühendem subtil durchhörbaren instrumentalem und vokalem Zusammenspiel. Das Publikum war fasziniert, manch einer mag diese Interpretation als eine „Uraufführung“empfunden haben und bedachte den Maestro und sein Damenensemble mit Ovationen. Ermonela Jaho ist eine Angelica von schlafwandlerischer Reinheit. Ein Wundersopran. Sie war die Königin des Abends.
Der Bühnenbildner hat für die drei Einaker, denen das „Grundthema Tod zu eigen ist“, einen „Trichter“gebaut, der einen noch gleislosen Tunnelbahnhof für Stuttgart 21 assoziieren lässt. Immerhin stellt Bernhard Hammer damit genügend Platz für Spielmöglichkeiten und Möbel wie die Bettstatt für Buoso in „Gianni Schicchi“zur Verfügung. Die hochbegabte Jungregisseurin Lotte de Beer erzählt sehr genau, profiliert die Gestalten. Gestik, Mimik und Aktionen korrespondieren erstaunlich mit der Musik.
In „Il tabarro“ist Giorgetta (Eva Maria Westbrock) kein lebenshungriges Mädchen, sondern eine verhärmte junge Frau, überschattet vom Chaos ihrer Gefühle. Ihre Stimme spiegelt von sensibler Lyrik bis zur flammenden Dramatik die Verstrickung mit Michele und Henri. Wolfgang Kochs Meriten liegen im deutschen Fach eher als im italienischen, Yonhoon Lee (Henri) hält Gesang noch primär für eine – imponierende – Kraftleistung; Piano ist doch keine Sünde. Fabelhaft und individuell überzeugend sind die Nebenrollen.
Über das amüsant geistreiche Schelmenstück „Gianni Schicchi“versprüht die Phantasie Lotte de Beers köstliche Einfälle, beginnend mit dem parodistischen Lamento der Erbschleicher, die mit Krokodilstränen den Tod Buosos beklagen bis zu den Wutausbrüchen, als sich die Raffgierigen durch Gianni Schicchi geprellt sehen. Ambrogio Maestri hatte die buffoneske Leibesund Bassfülle, das komödiantische Talent für Gianni Schicchi. Kirill Petrenko liebt die hochdramatische Musik für „Il tabarro“und die trocken witzige des „Gianni Schicchi“nicht minder als die Seelentiefe der „Suor Angelica“.
Die Opera buffa dirigiert er mit Brio, voller Temperament, Laune und Freude am Spaß – und führt das klingende Gelächter auch zur Kantabilität. besetzt Das jugendliche Paar Rosa Feola (Lauretta) und Pavol Breslik (Rinuccio) verströmt lyrischen Überschwang für Arie und Duettino.
Ungetrübt, ein rauschender Erfolg. Auch die Solisten applaudierten dem Orchester und seinem Dirigenten.
Live aus der Oper: Am 23. Dezember überträgt die Bayerische Staatsoper live die Vorstellung von „Il trittico“mit Generalmusikdirektor Kirill Petrenko am Pult. Der Stream von „Il trittico“ist dann ab dem 24. Dezember,
11 Uhr, 24 Stunden lang kostenlos als Video on demand zu empfangen. Also auch am 25. Dezember kann man noch bis 10.59 Uhr den Stream starten und vollständig ansehen.