Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Biografien von vier Euthanasie-Toten, drei weiteren Opfern und einem zweifelhaften Tod hat der Arbeitskreis aufgearbeitet
Laut Angaben von Ludwig Zimmermann basieren die Beschreibungen (hier ein Exzerpt) auf Informationen des Dokumentationszentrums Grafeneck, der Archive der Zentren fürs Psychiatrie Bad Schussenried und Weißenau, der Stiftung Liebenau, des Bundesarchivs in Berlin, aus Familienregistern und aus Zeitzeugen-Interviews.
Vinzenz Hartmann (22.7.1897 bis 2.10.1940) kehrt als Soldat wie Zigtausende andere mit Syphilis aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Er heiratet seine Frau Agatha, die er mit der Krankheit ansteckt. Über die Kriegsfürsorge wird er am 23.11.1939 in die Heilanstalt Liebenau eingeliefert, wo sich Agatha seit dem 19.12.1938 befindet. Dort wird bei ihm eine „Progressive Paralyse“festgestellt, worunter eine „fortschreitende neurologische Erkrankung“zu verstehen ist, die das Nervensystem angreift. Wie Zeitzeumals gen berichten, gibt der psychisch Angeschlagene sich deshalb oft aufbrausend und mitunter auch rebellisch gegenüber NS-Befürwortern. Am 2.10.1940 wird er mit einem der „Grauen Busse“in die Vernichtungsanstalt Grafeneck deportiert und noch am selben Tag mit Gas ermordet.
Seine Frau Agatha Hartmann, geboren 30.1.1899, war bereits zuvor am 21.12.1939 in Liebenau verstorben. Im Sterberegister ist als „Todesart“ebenfalls eine „Progressive Paralyse“vermerkt; im Aufnahmebuch steht als „Krankheit“jedoch „Tabo-Paralyse“. Es bestehen Zweifel an einem natürlichen Tod. Rosa Engel (2.5.1908 bis 1.8.1940) erleidet nach einer von der Mutter unterbundenen Liebesbeziehung 1931 einen Nervenzusammenbruch und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Nach einem Selbstmordversuch am 1933 kommt sie erst- für eine gewisse Zeit in die Heilanstalt Weißenau. Nach einer weiteren Einlieferung, die am 12.5.1939 über das Rathaus erfolgt, kommt es am 18.7.1939 im Städtischen Krankenhaus Ravensburg zur „Unfruchtbarmachung“. Obwohl sie den Eingriff gut übersteht, steht ihr Name am 1.8.1940 auf der Transportliste nach Grafeneck, wo sie am selben Tag vergast wird.
Maria Dirlewanger (8.12.1884 bis 1.8.1940) wird von ihrem Mann am 14.3.1929 aufgrund von Wahn- und Verfolgungsvorstellungen erstmals in die Heilanstalt Weißenau gebracht. Dort wurde sie auf Schizophrenie behandelt. Obwohl sich die Ärzte für eine „Behandlung in geschlossener Heilanstalt“aussprechen, kommt sie wieder nach Hause und wird am 10.9.1938 erneut eingeliefert. Ende Juli 1940 wird Maria laut Transportliste am 1.8.1940 mit einem der „Grauen Busse“in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und noch am selben Tag durchs Gas ermordet. Vinzenz Schrage (22.3.1877 bis 22.7.1940) kommt mit sieben Jahren am 28.10.1884 in der Heil- und Pflegeanstalt nach Liebenau. Dort wird bei der Aufnahme „angeborener Schwachsinn“in der Krankenakte eingetragen. Angaben zu einer bestimmten Krankheit oder über die Arbeitsfähigkeit fehlen. Aus der Verlegungsliste „T4“mit der Identifikationsnummer I,55 geht hervor, dass Vinzenz am 1.7.1940 in die Heilanstalt Schussenried verlegt wird. Am 22.7.1940 wird er nach Grafeneck gebracht.
Zu den NS-Ermordeten zählt auch der Soldat Johann Baptist (Hans) Pfeffer vom Hatzenturm. Der kehrt aus seinem Heimaturlaub 1943 nicht mehr zu seiner Einheit zurück. Nachdem er zu seiner Einheit bei Dobrajo in Russland zurückgebracht wurde, erfolgte dort am 23. Januar seine standrechtliche Erschießung als Deserteur. Auch ein unbekannter französischer Soldat wird von dem Arbeitskreis aufgeführt, der als Kriegsgefangener eine Liebesbeziehung zu einer Bauerntochter hatte. Er musste die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, da dies vom Regime nicht toleriert wurde, und soll in die Wehrmacht eingetreten sein. Nach Kriegsende sei er von einem französischen Sergeanten aufgegriffen und mit weiteren Kollaborateuren in Blitzenreute erschossen worden sein. Der Kaufmann Konrad Breg (20.11.1883 bis 22.4.1945) wird im Dornacher Ried hinterrücks erschossen. Nach Angaben von Zeitzeugen geschah dies ohne Standgerichtsurteil. Die Tat sei von zwei jungen Leutnants ausgeführt worden. Er sei unter einem Vorwand zum späteren Tatort gelockt worden. (sz/ric)