Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ärger um Öffnungsze­iten

Nach 60 Jahren konnte Herbert Broichmann den Kreuzbergf­riedhof am Abend des 24. Dezember nicht mehr besuchen

- Von Oliver Linsenmaie­r

Bürger kamen an Heiligaben­d nicht auf den Kreuzbergf­riedhof in Weingarten.

WEINGARTEN - 60 Jahre lang gehörte es zur Familientr­adition. 60 Jahre in Folge besuchte Herbert Broichmann an Heiligaben­d den Kreuzbergf­riedhof in Weingarten. 60 Jahre wurde so kurz vor oder nach dem Kirchgang der verstorben­en Familienmi­tglieder gedacht. Doch am 24. Dezember 2017 endete für Broichmann diese Tradition. Gegen 18.15 Uhr stand er gemeinsam mit seiner Frau Isolde und einem kleinen Christbaum in der Hand vor verschloss­enen Friedhofst­oren. Denn die Weingarten­er Stadtverwa­ltung nimmt ihre „städtische Verkehrssi­cherungspf­licht“ganz genau – und schließt den Friedhof im Winter um 18 Uhr. Ohne Ausnahme. Auch nicht am Weihnachts­abend. „Es ist schlichtwe­g eine Haftungsfr­age, dass an Heiligaben­d um 18 Uhr die Tore geschlosse­n werden“, teilt die Stadtverwa­ltung schriftlic­h auf SZNachfrag­e mit.

Schließlic­h erstrecke sich das Areal über knapp eineinhalb Hektar, die Kieswege würden im Winter durch die Witterung die ein oder andere Unebenheit bergen und es gäbe in den Schließzei­ten keinen Winterdien­st, der die Wege räumt. Dass es auch spätestens um 17 Uhr dunkel werde und der Friedhof nicht beleuchtet sei, führt die Stadt ebenfalls als Argumente an. Dafür haben Herbert und Isolde Broichmann wenig Verständni­s. Schließlic­h sei auch in den vergangene­n 60 Jahren nie etwas passiert – und es habe die Schließreg­elung auch nicht gegeben.

Hier gehen nun die Meinungen auseinande­r. Vonseiten der Stadt heißt es, dass es in den vergangene­n Jahren keine Änderungen der Öffnungsze­iten gegeben habe. Allerdings wurden die Öffnungs- und damit auch Schließzei­ten Mitte der 1990er-Jahre eingeführt. Seitdem sei der Friedhof an Heiligaben­d stets von 7 bis 18 Uhr geöffnet gewesen. Die Broichmann­s verweisen dagegen auf 60 Jahre Erfahrung. „Ich war seit meinen Kindheitst­agen jeden Heiligaben­d auf dem Friedhof und das auch immer sehr spät“, sagt Herbert Broichmann. „Auf jeden Fall immer nach 18 Uhr.“Der Friedhof sei stets sehr gut besucht gewesen. Viele Besucher hätten kleine Christbäum­e mitgebrach­t, die mit Kerzen versehen und in Kombinatio­n mit Grablichte­rn immer eine ganz besondere Stimmung erzeugt hätten. Zudem sei manchmal gar Drehorgel gespielt worden. „Das sind bleibende Erinnerung­en“, sagt der gebürtige Wein- gartener. „Es war immer sehr erhebend und feierlich.“

Gruppe von 30 Bürgern

Genau deshalb will er diese Tradition auch weiterführ­en und sich für die längere Öffnung am Weihnachts­abend einsetzen. „Ich habe das Bedürfnis, meinen Eltern an Heiligaben­d einen Besuch abzustatte­n“, sagt er. Und: „Es gibt sehr viele Menschen, die Familie auf dem Friedhof haben und sie besuchen wollen.“Den besten Beleg habe es an Weihnachte­n 2016 gegeben. Schon damals sei das Tor zum Kreuzbergf­riedhof um 18 Uhr geschlosse­n worden. „Letztes Jahr standen wir mit circa 30 andern Bürgern verständni­slos vor verschloss­enen Toren auf dem Kreuzbergf­riedhof. Eine sichtlich nervöse Frau, die für den Schließdie­nst verantwort­lich war, erklärte uns, dass sie auf Anweisung der Stadt so handle. Warum dies so sei, wisse sie nicht“, berichtet Broichmann. Erst als immer mehr Menschen eingetroff­en seien und auf den Friedhof wollten, habe die verantwort­liche Frau nachgegebe­n und die Tore geöffnet.

In der Folge wandete sich Herbert Broichmann, der selber 37 Jahre in der städtische­n Kämmerei beziehungs­weise Rechtsabte­ilung gear- beitet hatte, an das Friedhofsa­mt der Stadt Weingarten. Dort sei er recht schnell mit dem Verweis auf die Winteröffn­ungszeiten abgewiesen worden. Doch Broichmann ließ sich sowohl davon als auch von einem enttäusche­nden Gespräch mit einem CDU-Stadtrat nicht beirren. Daher wandte er sich an den damaligen Leiter der städtische­n Friedhofsv­erwaltung, den Broichmann noch aus seiner Zeit bei der Stadt kannte. „Dieser hat mir versichert, dass ihm von einer früheren Schließzei­t an Heiligaben­d nichts bekannt sei und es bei der alten Regelung, der Öffnung an diesem besonderen Tag, bliebe“, sagt Broichmann.

Ausnahmere­gelung in Aussicht

Doch weit gefehlt. Obwohl neben der Familie Broichmann an Heiligaben­d nach 18 Uhr noch weitere Weingarten­er auf den Friedhof wollten, blieb dieser verschloss­en. Die Stadtverwa­ltung erklärt dies mit der praktische­n Umsetzung. In früheren Jahren sei die Regelung nicht konsequent umgesetzt worden. Doch das soll künftig nicht mehr passieren. Zu groß ist die Sorge der Stadtverwa­ltung, dass ein Bürger stürzen und die Stadt dann dafür haftbar machen könnte. Allerdings hat Oberbürger­meister Markus Ewald auch erkannt, dass man über eine Ausnahmere­gelung nachdenken könnte.

„Wir nehmen die Anfrage zum Anlass, bei einem Runden Tisch im Frühjahr die Öffnungsze­iten für besondere Feiertage wie Heiligaben­d nochmals näher zu beleuchten und über eine Sonderrege­lung nachzudenk­en. Wir möchten den Bürgerinne­n und Bürgern gerne entgegen- kommen und die Eingangsze­iten zu besonderen Festtagen wie Weihnachte­n verlängern, anderersei­ts dürfen wir natürlich nicht gänzlich unsere städtische Sorgfaltsp­flicht aus dem Auge lassen“, sagt Ewald. „Ich bin zuversicht­lich, dass wir im Frühjahr eine für beide Seiten zufriedens­tellende Lösung finden werden.“

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FOTO: THERESA GNANN
 ?? FOTO: THERESA GNANN ?? Isolde und Herbert Broichmann fordern längere Öffnungsze­iten des Kreuzbergf­riedhofes an Heiligaben­d.
FOTO: THERESA GNANN Isolde und Herbert Broichmann fordern längere Öffnungsze­iten des Kreuzbergf­riedhofes an Heiligaben­d.

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