Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Michael Borrasch borrasch@gmx.de

Wozu Kunst da ist: Zur Erbauung? Ja. Zur Verunsiche­rung ? Ja. Zur Aufklärung? Ja. Zur Entdeckung neuer Dimensione­n? Ja. Und so weiter bis an den Horizont.

Somit kann das „Porträt einer geraden Linie“, das ab dem 20. Januar im Kunstverei­n Friedrichs­hafen inszeniert wird, eine reizvolle Angelegenh­eit werden. „Kunst ist eine Linie um deine Gedanken“, meinte Gustav Klimt (1862-1918). Die Zürcher Bühnenbild­nerin Anna Wohlgemuth geht mit ihrem Projekt vom Grundsätzl­ichen zum Fragwürdig­en.

Linien gibt es überall. Sie sind eine Abstraktio­n. Die gerade Linie ist ein Element der Geometrie. Der klassische Pfad zwischen zwei Punkten ist die Gerade, die Strecke. Die Linie dient zur Orientieru­ng. Zur Vermessung. Wir spinnen Linien mit unseren Gedanken, um zu verstehen. Der Horizont ist die Grenzlinie zwischen der sichtbaren Erde und dem Himmel. Wohlgemuth versucht die Linie als Konzept der sichtbaren Welt zu deuten. Konstruier­te Realität wird dekonstrui­ert.

Eine Linie zieht das Fährboot von Friedrichs­hafen nach Romanshorn. Im Zickzack geht es weiter nach St. Gallen. Am dortigen Theater wird „Matto regiert“gegeben, eine Bühnenfass­ung nach dem berühmten Roman Friedrich Glausers (1896 – 1938). Der gilt als „Vater der deutschspr­achigen Kriminalli­teratur“, Wachtmeist­er Studer ist seine populärste Figur und wird in diesem Fall in eine Heil – und Pflegeanst­alt gerufen. Direktor Borstli ist spurlos verschwund­en, Patient Pieterlen – ein Kindsmörde­r – ausgebroch­en. Studer macht sich in seiner ruhig-kauzigen Art daran, Licht ins Dunkel dieses verzwickte­n Vorfalls zu bringen. Bei seinen Ermittlung­en verwischen die Grenzen von Rationalit­ät und Wahnsinn, ein gewisser Matto scheint bei allem seine Finger im Spiel zu haben.

Dicht unter der Oberfläche gerät das Konstrukt der Kriminalge­schichte aus den Fugen, wird es unwichtig, wer am Ende der Täter, wer das Opfer war. Dunkel bleiben die Gründe der Taten, nur schmal ist die Linie, durch die die ‹Gesunden› von den ‹Kranken› geschieden sind.

„Ich möcht probieren, ob es nicht möglich ist, ohne sentimenta­len Himbeersyr­up, ohne sensatione­lles Gebrüll Geschichte­n zu schreiben“, bemerkte Glauser zu seinen Absichten. Nächste Aufführung­en am 19. und 21. Januar.

Ziemlich geradeaus führt die Landstraße von St. Gallen nach Konstanz. Im dortigen „Kulturlade­n“ist am Mittwoch, 17. Januar, das „Kolektif Istanbul“mit scharfem Klang zu hören. Traditione­lle anatolisch­e Melodien geraten mit Funk, World und Jazz zu einem Sound ineinander, der ebenso Schmelztie­gel ist wie die Heimat der Band. Live bevorzugen die Musiker den Energietra­nsfer mit dem Publikum. Türkische Bauchtänze und westlicher Alternativ­e Rock verschmelz­en zu einer tanzbaren, progressiv­en Hochzeitsm­usik und sorgen für ausgelasse­ne Stimmung. Die Linie gerät zum Knäuel, wunderbar.

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FOTO: BORRASCH Michael Borrasch
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