Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Wozu Kunst da ist: Zur Erbauung? Ja. Zur Verunsicherung ? Ja. Zur Aufklärung? Ja. Zur Entdeckung neuer Dimensionen? Ja. Und so weiter bis an den Horizont.
Somit kann das „Porträt einer geraden Linie“, das ab dem 20. Januar im Kunstverein Friedrichshafen inszeniert wird, eine reizvolle Angelegenheit werden. „Kunst ist eine Linie um deine Gedanken“, meinte Gustav Klimt (1862-1918). Die Zürcher Bühnenbildnerin Anna Wohlgemuth geht mit ihrem Projekt vom Grundsätzlichen zum Fragwürdigen.
Linien gibt es überall. Sie sind eine Abstraktion. Die gerade Linie ist ein Element der Geometrie. Der klassische Pfad zwischen zwei Punkten ist die Gerade, die Strecke. Die Linie dient zur Orientierung. Zur Vermessung. Wir spinnen Linien mit unseren Gedanken, um zu verstehen. Der Horizont ist die Grenzlinie zwischen der sichtbaren Erde und dem Himmel. Wohlgemuth versucht die Linie als Konzept der sichtbaren Welt zu deuten. Konstruierte Realität wird dekonstruiert.
Eine Linie zieht das Fährboot von Friedrichshafen nach Romanshorn. Im Zickzack geht es weiter nach St. Gallen. Am dortigen Theater wird „Matto regiert“gegeben, eine Bühnenfassung nach dem berühmten Roman Friedrich Glausers (1896 – 1938). Der gilt als „Vater der deutschsprachigen Kriminalliteratur“, Wachtmeister Studer ist seine populärste Figur und wird in diesem Fall in eine Heil – und Pflegeanstalt gerufen. Direktor Borstli ist spurlos verschwunden, Patient Pieterlen – ein Kindsmörder – ausgebrochen. Studer macht sich in seiner ruhig-kauzigen Art daran, Licht ins Dunkel dieses verzwickten Vorfalls zu bringen. Bei seinen Ermittlungen verwischen die Grenzen von Rationalität und Wahnsinn, ein gewisser Matto scheint bei allem seine Finger im Spiel zu haben.
Dicht unter der Oberfläche gerät das Konstrukt der Kriminalgeschichte aus den Fugen, wird es unwichtig, wer am Ende der Täter, wer das Opfer war. Dunkel bleiben die Gründe der Taten, nur schmal ist die Linie, durch die die ‹Gesunden› von den ‹Kranken› geschieden sind.
„Ich möcht probieren, ob es nicht möglich ist, ohne sentimentalen Himbeersyrup, ohne sensationelles Gebrüll Geschichten zu schreiben“, bemerkte Glauser zu seinen Absichten. Nächste Aufführungen am 19. und 21. Januar.
Ziemlich geradeaus führt die Landstraße von St. Gallen nach Konstanz. Im dortigen „Kulturladen“ist am Mittwoch, 17. Januar, das „Kolektif Istanbul“mit scharfem Klang zu hören. Traditionelle anatolische Melodien geraten mit Funk, World und Jazz zu einem Sound ineinander, der ebenso Schmelztiegel ist wie die Heimat der Band. Live bevorzugen die Musiker den Energietransfer mit dem Publikum. Türkische Bauchtänze und westlicher Alternative Rock verschmelzen zu einer tanzbaren, progressiven Hochzeitsmusik und sorgen für ausgelassene Stimmung. Die Linie gerät zum Knäuel, wunderbar.