Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sternstunden
Sharon Kam und ihre Kammermusikpartner begeistern im Stadttheater Lindau
LINDAU - Was für ein Geschenk, was für ein unendlicher Atem! Im Rahmen der Lindauer Kammerkonzerte bescherten die Klarinettistin Sharon Kam und ihre Musikerfreunde Isabelle van Keulen, Ulrike AnimaMathé (Violinen), Volker Jacobsen (Viola) und Gustav Rivinius (Violoncello) dem Publikum im Stadttheater einen außergewöhnlichen Abend mit gleich drei Klarinettenquintetten.
Meist hört man eines der Werke etwa im Rahmen eines Streichquartettabends, wenn ein Klarinettist/eine Klarinettistin dazu eingeladen ist, Mozart, Brahms oder Reger mit den Streicherkollegen zu musizieren. Das Quintett von Mozart und das von Brahms sind zentrale Werke für diese Besetzung. Weniger häufig steht Regers Klarinettenquintett auf dem Programm, ist es doch auch weniger eingängig und umso schwergewichtiger im Klang und in der Harmonik. An diesem ungemein dichten Abend aber erklangen alle drei Werke, dargeboten von einem Ensemble, dessen Mitglieder ebenso erfahrene wie leidenschaftliche Kammermusiker sind und die alle drei Werke gemeinsam auch auf CD eingespielt haben. So ist nicht nur jeder Musiker symbiotisch mit seinem Instrument verbunden, sondern im Zusammenspiel entsteht auch ein Geflecht von Linien mit der Klarinettistin als Kraftzentrum.
Im Jahr 2011 war die israelische Klarinettistin Sharon Kam als Artist in Residence des Bodenseefestivals zu Gast gewesen und hatte mit dem Facettenreichtum ihres Spiels beeindruckt. In riesigen Bögen und reichem Atem spannt sie die Melodien, lässt sie aufblühen und verlöschen wie eine perfekt geführte Gesangsstimme. Bei Mozart hat sie einen schlanken, beweglichen Klang, unendlich verströmt sich die Klarinette im langsamen Satz im innigen Dialog mit der ersten Geige von Isabelle van Keulen. Im dritten Satz spielt sie zum Tanz auf und führt im Finale den Reigen der Variationen bald virtuos sprudelnd, bald fein ausgespannt.
Üppig im Klang, kühn in der chromatischen Abfolge der Akkorde, sehnsüchtig melancholisch in der raunenden spätromantischen Klage des langsamen Satzes und charaktervoll in der Zeichnung der Variationen ist das Quintett von Max Reger. Die fünf Solistinnen und Solisten vereinten sich zu einem atmenden klanglich ausgewogenen Ganzen – bei aller Vielschichtigkeit wurden die Klänge immer wieder neu beleuchtet. Reger geht auch in der Kammermusik an die Grenzen der Durchhörbarkeit, umso mehr ist das Engagement der Musiker hochzuschätzen, sich all den Windungen und Ausbrüchen zu stellen.
Fließendes Geben und Nehmen
Im Vergleich mit Reger wirkt das späte Klarinettenquintett von Brahms fast durchsichtig, intim, obwohl auch hier Spannung, Farben und Ausdruck riesig sind. Wieder verbanden sich Streicher und Klarinette in einem fließenden Geben und Nehmen, erlebte man die Sinnlichkeit der Musik und die herzzerreißende Emphase, die Brahms im langsamen Satz mit seinen ungarischen Elementen eingefangen hat. Bis zum letzten großen klingenden Seufzer, dessen Motiv die Sätze miteinander verklammert, rundete sich dieser Abend in wunderbarer Geschlossenheit.