Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie viel Kirche der Staat verträgt
Bischöfe und Landtagspräsidentin diskutieren über Religion im öffentlichen Raum
BIBERACH - Welche Bedeutung haben die großen Kirchen in unserer Gesellschaft? Ist ihre Nähe zum Staat zeitgemäß? Und wie sollen wir mit der wachsenden Geltung des Islam umgehen, nicht zuletzt in den Schulen? Diese und andere Fragen standen beim 4. Bildungsforum Oberschwaben in Biberach auf der Tagesordnung unter dem Motto: „Religion im öffentlichen Raum“. Unter der Moderation von Kara Ballarin, Korrespondentin der „Schwäbischen Zeitung“in Stuttgart, gab ein hochkarätiges Podium mit Bischof Gebhard Fürst, Landesbischof Frank O. July und Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) – sie ist alevitischen Glaubens – die Antworten.
Die Wegekreuze, die Kirchtürme und ihre Glocken zu Gottesdiensten; zu sehen und zu hören sind die beiden großen Kirchen zwar nach wie vor im öffentlichen Raum, doch keiner der Diskutierenden wollte ihren Autoritätsverlust und ihren zunehmenden Rückzug ins Private in Abrede stellen. Nichtsdestotrotz sei ihre Bedeutung für das Zusammenleben ungebrochen, betonte Bischof Fürst: „Der religiöse Zugang zu Werten wie Mitmenschlichkeit, Toleranz und Nächstenliebe ist unverzichtbar. Andernfalls würde uns ein Stück Welt fehlen.“Landesbischof July pflichtete bei und ergänzte: „Werte wandeln sich“, Religion müsste sich daher ihre „Anschlussfähigkeit“bewahren und gleichsam offen sein für die Weiterentwicklung. In diesem Zusammenhang zitierte Landtagspräsidentin Aras den Theologen Hans Küng: „Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.“
Flächendeckend Islamunterricht
Als zentralen Ort des Dialogs und der Vermittlung gelten die Schulen, wobei Muhterem Aras hinsichtlich eines Islamunterrichts unmissverständlich feststellte: „Wir sollten die flächendeckende Einführung beschleunigen.“Bischof Fürst betonte ebenfalls: „Seit meiner Ernennung zum Bischof im Jahr 2000 bin ich für einen Islamunterricht.“Beide, Aras wie Fürst, sehen allerdings einen Mangel an Personal: „Wir brauchen Lehrkräfte, die in Deutschland ausgebildet wurden“, sagte Aras. In Tübingen beispielsweise, so Fürst, werde auf hohem Niveau ausgebildet, aber nicht ohne Probleme: „Die Lehrkräfte werden angefeindet, weil sie für einen verträglichen Islam stehen, wie wir ihn uns wünschen.“Der Islamunterricht an sich sei aber alternativlos, bekräftigte Aras: Allein um den Menschen zu vermitteln, „dass ihre Religion zu unserer Gesellschaft gehört“. Überdies sei sie als staatliches Angebot transparent. „Das ist ja auch die Kritik an den Moscheen: Wir haben keinen Einblick, was dort gelehrt wird.“
Womit die Gefahr von Grenzverletzung einhergeht. „Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert Religionsfreiheit – genauso wie die Freiheit von Religionen“, erklärt Aras. Das Grundgesetz sei auf Vielfalt und Toleranz angelegt. „Das gilt gerade auch in Fragen des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses.“Die Grenzen seien allerdings erreicht, wenn Freiheit und Toleranz infrage gestellt würden. Bischof Fürst sagte es so: „Ein anything goes geht nicht. Ohne Grenzen entsteht keine Kontur.“Und Frank July: „Der Staat ist kein weißes Papier, dass wir immer neu beschriften können.“
Doch wie weit darf der Einfluss der Kirchen auf den Staat gehen, um jenes Papier zu beschriften? Schon die Landesverfassung Baden-Württembergs sieht eine Trennung von Staat und Kirche vor, aber keine streng laizistische, es wird vielmehr die Selbstständigkeit beider Seiten betont, genauso wie eine gewünschte Kooperation. In der Vergangenheit haben sich aber jene Stimmen gemehrt, die Religion als reine Privatsache definieren und einen Rückzug fordern. Was beim Forum in Biberach durchweg auf Ablehnung stieß. „Was passiert, wenn sich Religion aus dem öffentlichen Raum zurückziehen soll, sehen wir in Frankreich, das die Grammatik religiöser Sprache verloren hat“, sagte July. Die Kirchen müssten als Teil der Gesellschaft auch an gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligt werden. Und wo sich Religion im öffentlichen Raum rechtfertigen müsse, so Bischof Fürst, bestehe die Gefahr fundamentalistischer Strömungen, auch dies mit Verweis aus Frankreich.
Der Tenor in Biberach: Unsere Werte fußen auf unserer religiösen Tradition, die Auftrennung der Kooperation von Staat und Kirche wäre daher ein Fehler, der Mittelweg oder die „fördernde Neutralität“(Aras) sei nach wie vor der richtige Weg.