Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Lull und lall
Darum trinkt Rheinwein, Männer, seid schlau. Dann seid am Ende auch ihr kornblumenblau.“Abertausende singen das derzeit wieder mit Inbrunst – und wohl die wenigsten überlegen dabei, was es eigentlich mit Schläue zu tun haben soll, wenn man am Schluss nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Womit wir beim Thema sind: Warum ist jemand eigentlich blau, wenn er sich zu viel Wein, Bier oder Schnaps hinter die Binde gegossen hat?
An Redensarten ist in unserer Sprache wahrhaft kein Mangel. Aber wenige – sagen wir mal – Aggregatzustände des Menschen haben die Fantasie so beflügelt wie der Rausch nach Alkoholgenuss. Wobei die Bandbreite sehr groß ist: Sie reicht vom augenzwinkernden Verständnis für einen Schwips bis zum Abscheu vor dem Exzess. Einige Ausdrücke sind noch relativ harmlos. Man ist angeheitert,
angeduselt, besäuselt oder beschickert. Etwas schlimmer klingt es, wenn jemand schwer geladen oder Schlagseite hat, einen sitzen, einen Affen, einen in
der Krone oder einen intus. Dass einer Sternchen sieht geht noch gerade als lässliche Sünde durch. Aber bei sternhagelvoll, granatenvoll, voll wie tausend Hexen, voll bis Unterkante Oberlippe
oder voll wie eine Strandhaubitze wird es zunehmend unappetitlicher. Wobei die letzte Redensart einer Erklärung bedarf: Bei Geschützen am
Strand ragten die Rohre schräg nach oben, weshalb sie bei Regen zunächst voll liefen und dann über… Auch die Wendung lull und lall versteht man vielleicht nicht auf Anhieb. Bekannt wurde sie vor allem durch den Song „Carbonara“der Band Spliff aus dem Jahr 1982. Da hieß es: „Amaretto ist ein geiles Zeug, ich bin schon lull und lall“– lull von einlullen und lall von lallen. Und die Krönung im negativen Sinn sind dann Ausdrücke wie
sturzbetrunken, hackedicht oder stockbesoffen. Da klingt blau sein schon fast wieder harmlos. Die Sprachforscher sind sich nicht ganz einig, ob damit ursprünglich auf die bläuliche Nase bei Trinkern angespielt wurde oder auf die Tatsache, dass einem blau vor Augen werden kann, wenn man zu viel getrunken hat. Skeptisch gesehen wird allerdings eine andere oft zitierte Herleitung: Danach hätte die Redensart etwas mit der Textilherstellung zu tun. Um Stoff blau zu färben, wurde er früher in Bottiche mit eingeweichtem Waid gelegt. Da man diese Pflanze außer mit Wasser auch mit Urin ansetzte, hätten Männer sich dieser Aufgabe gerne unterzogen und für ausreichenden Harndrang mit Unmengen von Bier nachgeholfen – bis sie selbst blau waren. Unbestritten ist dagegen, dass dieses Blaufärben etwas mit dem blauen
Montag zu tun hat. Da der Stoff einen Tag lamg im Waidbad liegen musste, erledigte man das tunlichst am Sonntag. Danach aber sollte er noch einen Tag an der Luft oxydieren, wofür der Montag da war. Da hatte man dann frei und machte blau.
In drei Tagen ist Rosenmontag. Der hat zwar nichts mit Rosen zu tun. Wurzel ist vielmehr das niederrheinische rose, was nichts anderes heißt als rasen im Sinn von wild herumtoben. Aber ein blauer Montag ist er für viele doch – im doppelten Sinn.
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