Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„This is a Breitmaulnashorn“
Touristen in Südafrika suchen vor allem die Wildnis – im Kruger-Nationalpark und anderswo
Mitten im Nirgendwo, zwei Autostunden vor Kapstadt, zwischen ein paar Büscheln Gras, Staub und dürren Bäumen baumeln hunderte signierter Büstenhalter über dem Tresen. Passend zum Namen der Lokalität: Ronnies Sexshop. Tausende Menschen haben sich bei ihrem Abstecher hierher namentlich verewigt, nachdem sie das getan hatten, was alle hier in der Halbwüste Südafrikas tun: Bier trinken. Denn Sex oder entsprechendes Spielzeug gibt es hier definitiv nicht.
Hinterm Tresen unter den BHs hockt Ludwig Schäffler, neben ihm läuft der Computer. Wenn gerade nichts zu tun ist, zockt er Computerspiele. Beruflich. „Ich teste die Spiele“, sagt der 43-Jährige – auf Deutsch. „In Ellwangen habe ich Elektroinstallateur gelernt, in Aalen bin ich auf die Berufsschule gegangen“, erzählt er. Warum es ihn schließlich an diesen unwirtlichen Ort zwischen Ladismith und Barrydale verschlagen hat? „Ich brauche Sonne und kaltes Bier“, erklärt Schäffler lapidar.
Ausgebuchter Nationalpark
Beides hat Südafrika im Überfluss zu bieten. Und noch viel mehr. Es ist ein Land mit geschäftigen Großstädten, mit spektakulären Schluchten wie dem 800 Meter tiefen Blyde River Canyon, mit dem an einen Drachenrücken erinnernden Gebirgszug der Drakensberge, mit weiten, ebenen Landschaften, blühenden Gärten, Wüsten oder Halbwüsten. Vor allem Südafrikas Wildnis lockt jährlich Millionen Touristen an. „Die Hotels und Flüge sind laufend ausgebucht“, weiß Detlef Hahn, Reiseleiter mit deutschen Wurzeln, der seit 50 Jahren hier lebt. Südafrika boomt, nicht zuletzt der einzigartigen Tierwelt wegen. Wer etwa im Kruger-Nationalpark übernachten will, muss oft monatelang im Voraus seinen Schlafplatz reservieren.
Dort, im wohl berühmtesten Nationalpark des Landes, sitzt Thulani Ndlovu hinterm Steuer des offenen Geländewagens. „This is a Breitmaulnashorn“, sagt der Parkranger in bestem Busch-Deutsch. Und dann ist Ruhe. Niemand soll den Koloss verjagen, der gerade im Tümpel badet. Das Horn, Rücken und Augen lugen aus dem Wasser, leise klicken Kameras, Ferngläser machen die Runde. Scheinbar bewegungslos verharrt das Tier in dem Wasserloch. „Ein Nashorn hat keine natürlichen Feinde“, flüstert Ndlovu. Bis auf einen. Den Menschen. Mehr als 1000 Nashörner erlegen Wilderer Jahr für Jahr in Südafrika, die meisten davon im Kruger-Nationalpark. Sie hacken ihnen die Hörner ab, die Scharlatane anschließend als Wundermittel für horrende Summen nach Asien verkaufen, wo das Hornpulver mittlerweile teurer ist als Gold. Gegen Bluthochdruck und Krebs soll es helfen, gar die Potenz steigern. Und das, obwohl das Nashorn nichts weiter ist als Keratin – der gleiche Stoff, aus dem auch menschliche Fingernägel und Haare bestehen. Grausamkeiten wie diese wollte Paul Kruger, Sohn deutscher Einwanderer, verhindern, der als Präsident Südafrikas bereits 1898 das Gebiet zwischen den Flüssen Sabie und Crocodile zum Schutzgebiet erklärte und damit den Grundstein des später nach ihm benannten Parks legte. Er schuf eine natürliche Arche Noah, in der heute auf rund 36 000 Quadratkilometern – einer Fläche groß wie Baden-Württemberg – hunderte Tierarten leben. Darunter die sogenannten Big Five, die fünf größten Tiere: Nashörner, Leoparden, Büffel, Löwen und Elefanten.
Wildnis draußen wie drinnen
Das Funkgerät knarzt, Thulani Ndlovu lauscht. Ein anderer Parkranger funkt den Standort eines Elefanten an die Kollegen. Ndlovu lässt den Motor an, lange muss er nicht suchen. Am Wegesrand rupft der Elefantenbulle mürrisch Rinde von einem Baumstamm, schiebt sie sich zusammen mit ein paar Blättern ins Maul und mampft. Plötzlich prustet der Bulle, dreht sich mit einem Satz zum Geländewagen hin. Schrecksekunde. Ndlovu startet sofort den Motor. Doch der Bulle hält inne, streckt seinen Rüssel aus, als wolle er dem Wagen den Weg weisen – weg von hier. Irgendetwas hat ihn geärgert.
Eine heikle Situation, denn wenn ein Elefant einmal in Rage ist, ist ein Geländewagen kein Hindernis. Allerorts liegen entwurzelte Bäume, viele davon waren Dickhäutern scheinbar im Weg. Eine wirklich gefährliche Situation habe er in 14 Jahren als Parkranger zwischen wilden Löwen, Flusspferden, Elefantenbullen allerdings noch nie erlebt, sagt der 45-jährige Ndlovu und kurvt über die sandigen Wege des Nationalparks. Zebras und Antilopen knabbern friedlich an den Büschen am Straßenrand, während der Geländewagen über die Schotterpiste zu seinem Ziel holpert: Skukuza, ein Camp mit runden Hütten im Nationalpark. Viele Besucher übernachten hier, um im Morgengrauen auf Safari zu gehen. Einige Urlauber bezeichnen das Camp als Ort der Ruhe – doch von Stille kann keine Rede sein. „Schau nicht unter das Bett. Was da schläft – lass schlafen. Du schläfst schließlich oben“, scherzt Reiseleiter Hahn und meint damit nicht nur die Grillen und Vögel, die in der Abenddämmerung zu musizieren beginnen. Wenn die Sonne untergegangen ist, werden sie zusammen mit anderen Tieren zum Orchester der Wildnis, fiepen, pfeifen, surren und zirpen die Sinfonie der Nacht.
Wildnis ganz anderer Art findet sich in Ronnies Sexshop. Überall pinnen Visitenkarten, alte Ausweise, Schulterklappen deutscher Polizisten und Feuerwehrmänner, Wimpel, Bordkarten. Die Decke, der Tresen und die Wände gleichen einem Roadbook der Route 62, dem südafrikanischen Pendant zu Amerikas Route 66. Wen es weiter westwärts zieht, verschlägt es hunderte Kilometer später ans Kap der Guten Hoffnung und den Leuchtturm am Cape Point. „Nett hier – aber waren Sie schon einmal in Baden-Württemberg?“, steht auf einem Sticker, den jemand an den Leuchtturm geklebt hat. Es ist ein Stückchen Heimat am anderen Ende der Welt.
Apropos Heimat: Kennt man in Ronnies Sexshop außer Bier auch Spätzle? „Na klar“, sagt Schäffler. Die Spätzlespresse hat er eigens nach Südafrika mitgebracht. Er steckt sich eine Zigarette an, während nahe dem Tresen ein Mann gelassen dreinblickt. Ronnie, mittlerweile 68 Jahre alt und Chef der Bar, sieht mit seinen weißen Haaren und seinem weißen Bart, in den er einen Zopf geflochten hat, aus wie Santa Claus auf Urlaub. Er verschränkt die Arme vor der Brust und erklärt kurz und knapp, warum der Sexshop Sexshop heißt, obwohl hier gar keine Frivolitäten verkauft werden: „Sex sells.“Südafrikas Reize auch.