Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wintermärchen hält Narren nicht stand
Plätzler stürmen das Rathaus – Selbst ein spektakulärer Fluchtversuch hilft nicht
WEINGARTEN - Mangelnde Kreativität und Hingabe konnte man der Weingartener Stadtverwaltung bei der Verteidigung des Rathauses am Gumpigen Donnerstag wahrlich noch nie vorwerfen. Doch in diesem Jahr haben die städtischen Narren noch einen drauf gesetzt. Passend zum Motto „Weingarten – ein Wintermärchen“ließen sie es in der Nacht auf Donnerstag ordentlich schneien – und auch zum Rathaussturm um 11 Uhr morgens fielen immer wieder ein paar weiße Flöckchen. „Wir haben da einen ganz guten Draht nach oben“, scherzte Fachbereichsleiter und Superplaner Rainer Beck alias Arktos. Zur Verteidigung des Rathauses gegen die Plätzlerzunft Altdorf-Weingarten reichte es trotz spektakulärer Fluchtversuche aber dennoch nicht.
Denn die Plätzler zeigten sich wie immer gut vorbereitet – allen voran Zunftratsvize Thomas Gössling. „Doch was stoaht do auf dieser Dafel, gwieß wieder so ein Mordsgeschwafel, Weingarten – ein Wintermärchen, bestimmt spielt Rainer Beck ein Bärchen“, rief er zum Rathausbalkon hinauf. „Vom Umfang her – kriagt der des na, so dut halt jeder – was er ka. Doch jetzt isch`s Märchen erscht mol aus, denn mir besetzet – dieses Haus.“Um genau dies zu vermeiden, hatten die städtischen Mitarbeiter wieder einen durchtriebenen Plan ausgeheckt.
So versuchte der in Weiß gekleidete Rathauschor – unter anderem mit Bürgermeister Alexander Geiger als Eisbär, Verwaltungsdirektorin Sylvia Burg als Eiskönigin und dem Verantwortlichen für das Ravensburger Polizeipräsidium, Uwe Stürmer, als Schneemann – die Plätzler mit Konfetti, Schneekanonen und ihrem Gesang zu vertreiben. Gerade Letzteres schien aufgrund der gewöhnungsbedürftigen Intonation vielversprechend und ermutigte Oberbürgermeister Markus Ewald. „Ihr glaubt, der Plan könnt funktioniera, mr könnt die Brut aufs Glatteis führa? Was, wenn dr Winter ewig bliebe, dann brauchts kein Narr, der ihn vertriebe?“, reimte er. „'Nem Schilift zur Basilika, statt Mess- gibt’s Glühwein dort – hurra! Die Plätzer könnt mr eingefriera, dann würdet se die Luscht verliera.“
Skilift vom Rathaus zum Amtshaus
Und genau mit diesem Skilift machte sich das Stadtoberhaupt dann auch aus dem Staub. In voller Skimontur hängte er sich an ein Drahtseil, das zwischen Rathaus und Amtshaus gespannt war, und ließ sich von der Weingartener Feuerwehr von einem zum anderen Gebäude ziehen. „Ich hatte großen Respekt und als der Aufruf kam: jetzt loslassen, da hab ich schon ein bisschen gezögert. Aber es hat Spaß gemacht und ich wusste, dass ich bei unserer Feuerwehr in sehr sicheren Händen bin“, sagte Ewald im Nachgang. Doch wurde diese waghalsige Aktion nicht belohnt. Die Plätzler waren dem OB wieder mal einen Schritt voraus, nahmen ihn im Amtshaus in Empfang und brachten den Liftfahrer zurück auf den Rathausbalkon.
Dort hatte mittlerweile Plätzlerchefin Susanne Frankenhauser das Kommando übernommen und verlas die Regeln für die anstehenden närrischen Tage. Dabei wurde Weingarten nicht nur zum „oberschwäbischen Begegnungszentrum“ausgerufen, in dem auch Ravensburger herzlich willkommen seien. Auch für den OB dürfte es in den kommenden Tagen anstrengend werden. Er wurde zum persönlichen Referenten der Zunftmeisterin ernannt, wobei er sich besonders als Fahrer hervortun solle. „Er trägt ähnlich einer bekannten Biermarke den Namen ´Fahrme´“, verkündete Frankenhauser unter dem Gelächter der anwesenden Narren.
Und so gab sich Ewald letzten Endes wieder einmal geschlagen. „Leider ist es in diesem Jahr auch nicht gelungen, das Rathaus zu verteidigen, aber im nächsten Jahr, da schaffen wir das bestimmt“, prophezeite er. Vielleicht könnte es da auch helfen, dass der notorische RathausSchlacht-Verlierer Günter Staud nicht wieder als Berater tätig sein wird. Denn obwohl der sich seit Anfang des Jahres im Ruhestand befindet, war er nicht ganz unbeteiligt an der Verteidigungsstrategie. Bereits im Dezember, als der Verwaltungsdirektor noch im Amt war, hatte Beck seinen Kumpanen Staud – der das Rathaus jahrzehntelang erfolglos verteidigt hatte – zurate gezogen.
Staud erstmals nur Zuschauer
Damals kam den beiden die Idee für das Weingartener Winterwonderland. Für den Schnee wollte Staud aber nicht verantwortlich sein. „Das wäre ein wenig vermessen“, sagte er lachend. Eine gute Stunde zuvor war der einstige Obernarr noch ein wenig nachdenklich gewesen. Schließlich war es für ihn das erste Mal seit Jahrzehnten, dass er nicht als Protagonist mitwirkte. „Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, wenn man das so lange gemacht hat“, sagte er. Doch fiel ihm in diesem Jahr ohnehin eine noch viel bedeutsamere Aufgabe zu: die Betreuung seines Enkelkindes Raphael, der als Maus verkleidet das aufregende Treiben auf dem Arm des Opas verfolgte.