Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Frühlingsgefühle im Winter
Viel zu früh dran: Wie Tiere und Pflanzen auf den milden Januar reagierten
FRANKFURT A.M. (epd) - Schneeglöckchen und Hasel blühen ab, Erlen und Narzissen blühen auf. Der Januar war ungewöhnlich milde, meldete der Deutsche Wetterdienst – im Schnitt gut vier Grad wärmer als üblich. In den Schrebergärten blühen die Krokusse, die Knospen der Pfirsichbäume schwellen, und durch die Wetterau nördlich von Frankfurt am Main stakste Ende Januar ein Brauner Sichler und zog Scharen von Vogelfreunden an. „Das ist etwas richtig Seltenes“, sagt Biologe Stefan Stübing von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz. Die Stelzvögel sind eigentlich in den Feuchtgebieten des Mittelmeerraums zu Hause, etwa an der Grenze zwischen Griechenland und Albanien. In den vergangenen 150 Jahren wurde nur 15-mal einer in Deutschland gesichtet.
Die über Wochen milden Temperaturen in diesem Winter haben auch die Kurzstrecken- und Teilzieher unter den Vögeln dazu verleitet, in ihren Brutgebieten zu bleiben. Denn dann haben sie schon ein Revier, wenn die anderen Artgenossen erst heimkehren. Hausrotschwänze, Zilpzalpe und Wiesenpieper auf dem Durchzug aus Skandinavien wurden ebenfalls in der Wetterau gesichtet, die mit ihren zahlreichen Bächen, Tümpeln und Feuchtwiesen ein Eldorado für Vögel ist.
Biologe Stübing sagt: „Die Tiere verhalten sich wie sonst Anfang März.“Die ersten Teichmolche und Kammmolche waren Ende Januar schon auf Wanderschaft. In Sachsen sind die ersten Weißstörche zurückgekehrt, und die Kraniche sind schon wieder auf dem Weg nach Norden. Insekten, die sonst erfrieren oder in Winterstarre verfallen, werden bei der feucht-warmen Witterung von Schimmelpilzen befallen. Eine Ungezieferplage für den Sommer sei daher nicht zu befürchten, erklärt der Naturschutzbund Deutschland.
Jetzt aber ist es doch noch kalt geworden. Was machen die Tiere nun? „Großvögel wie Kraniche und Bekassinen können abziehen, weil sie genug Reserven haben. Aber Singvögel wie der Zilpzalp kommen nicht weit und verhungern“, sagt Stübing. Auch unerfahrene Jungvögel überlebten den Kälteeinbruch nicht immer. Dann könne es zu massiven Einbrüchen bei der Population kommen.
Gefährlich können lange milde Phasen für Säugetiere sein, die den Winter üblicherweise in Winterruhe oder -schlaf verbringen. Sie reagieren irritiert, wenn die Temperaturen plötzlich steigen. Waschbären und Eichhörnchen wuseln umher und verbrauchen zu viel Energie, wie die Wildtierhilfe Odenwald erklärt. Am schlimmsten trifft es junge Igel: „Die zunehmend milden Winter sind für die Igel ein Problem, weil sie immer wieder aufwachen und im Halbschlaf liegen, was wiederum enorm an ihren Energiereserven zehrt.“