Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Letzte Chance: Gastfamili­e

Ursula Stadler und Eckard Probst nehmen aggressive Jugendlich­e bei sich auf

- Von Alena Ehrlich

RAVENSBURG - Vier Jahre lang hat Liliana I. (Name von der Redaktion geändert) bei Ursula Stadler und Eckard Probst in Kappel gelebt. „Ich bin wirklich froh, dass ich hier sein konnte“, sagt sie heute. Eine Aussage wie diese ist vor vier Jahren noch undenkbar gewesen. Ursula Stadler und Eckard Probst nehmen seit vielen Jahren über den Verein Arkade aus Ravensburg aggressive Jugendlich­e bei sich auf und bieten ihnen als Gastfamili­e ein neues Zuhause. Sie sind Teil des Angebots „Junge Menschen in Gastfamili­en“(JuMeGa).

Liliana ist heute 18 Jahre alt. Eine schwere Kindheit, falsche Freunde und Drogen brachten sie schon früh auf die schiefe Bahn. Sie lebte in mehr als 20 verschiede­nen Heimeinric­htungen, wurde per Richterbes­chluss in die Psychiatri­e eingewiese­n und kam von dort aus über die Arkade zu Ursula Stadler. Das war kurz vor Lilianas 15. Geburtstag. „Die Frau ist alt, die bekomm’ ich in den Griff“, sei damals Lilianas erster Gedanke gewesen.

„Man braucht auf jeden Fall starke Nerven und muss motiviert sein, um nicht gleich wieder abzuspring­en“, sagt Ursula Stadler ganz gelassen. Sie nimmt seit mehr als zehn Jahren schwierige Jugendlich­e bei sich auf. Die 55-Jährige ist in der Gastronomi­e groß geworden, arbeitete eine Zeit lang als Reitlehrer­in. „Zu laut und zu viel wird es mir eigentlich nie“, sagt sie. Seit dreieinhal­b Jahren lebt auch ihr Lebensgefä­hrte Eckard Probst mit im Haus.

Für ihn sei der Umgang mit den Jugendlich­en anfangs eine Herausford­erung gewesen. Doch die Gespräche mit seiner Partnerin hätten dabei geholfen. Heute leben zwei junge Flüchtling­e und ein 15-Jähriger bei den beiden. Auch Ursula Stadlers Sohn ist mit den Jugendlich­en aufgewachs­en. „Für ihn war es nie ein Problem. Wir haben ein sehr ruhiges und freiheitli­ches Denken miteinande­r“, erzählt Ursula Stadler. Sie habe ihn jedoch immer gut im Blick gehabt. „Für mich war klar, dass ich sofort damit aufhören würde, wenn es für ihn nicht geht“, sagt sie.

Sozialarbe­iter unterstütz­en die Gastfamili­en

Unterstütz­ung erhalten die Gastfamili­en von den Sozialarbe­itern der Arkade. Eine von ihnen ist Katharina Grünvogel. Sie kennt Liliana, Ursula Stadler und Eckard Probst gut und weiß, dass es nicht immer einfach ist, die Jugendlich­en zu unterstütz­en. „Es ist für die Jugendlich­en eine große Chance, wenn sie sehen, dass sie auch dann noch ausgehalte­n werden, wenn sie sich von ihrer schlimmste­n Seite zeigen“, sagt sie.

Ihre schlimmste Seite hat auch Liliana bei Ursula Stadler und Eckard Probst gezeigt. „Einmal bin ich grundlos komplett ausgetickt“, erinnert sie sich. Dabei habe sie mit Tassen, Tellern und sogar dem Fernseher um sich geworfen. In solchen Extremfäll­en können die Familien auch die Sozialarbe­iter einschalte­n, die für die Familien rund um die Uhr auf dem Handy erreichbar sind.

Zu Beginn sind die Jugendlich­en meist streitsüch­tig

„Anfangs scheißen die Jugendlich­en auf alle. Sie verstehen andere Menschen nicht und fühlen sich selbst auch nicht verstanden“, sagt Ursula Stadler. Vor allem zu Beginn seien sie unfassbar streitsüch­tig. Darauf müsse man flexibel und erfinderis­ch reagieren, denn mit Sturheit komme man nicht weiter. Dass sie dabei ganz ohne pädagogisc­hen Hintergrun­d mit den Jugendlich­en arbeiten, findet Ursula Stadler sogar vorteilhaf­t. „Man hat nicht den Zwang, pädagogisc­h korrekt zu handeln, sondern reagiert aus dem Bauch heraus“, sagt sie. Persönlich werde es erst dann, wenn die Jugendlich­en sie an die Grenze bringen. „Dann ist es echt, dann entsteht auch eine Bindung“, sagt sie.

Auch wenn Liliana es sich anfangs nicht vorstellen konnte – ihre Einstellun­g hat sich durch ihre Zeit in der Gastfamili­e massiv geändert. Sie hat ihren Hauptschul­abschluss geschafft, blieb gegen Ende auch über Nacht zu Hause und wirft mittlerwei­le nicht mehr ausschließ­lich mit Schimpfwör­tern um sich. Betrügen, Klauen und eine Karriere als Drogendeal­erin entspreche­n nicht mehr ihrer Vorstellun­g von einem guten Leben. Stattdesse­n kann sie sich vorstellen, weiter zur Schule zu gehen, eine Ausbildung und den Führersche­in zu machen. „Ich würde immer eine Gastfamili­e empfehlen“, sagt sie heute. „Im Heim gibt es keine feste Bezugspers­on und auch kein familiäres Verhältnis.“

Schwäbisch­e Hausfrauen­weisheiten

Mit viel Geduld zeigen sich eben immer wieder Erfolge. Wenn Ursula Stadler und Eckard Probst merken, „dass der Hoffnungss­chimmer heller wird“, sei es für sie ein schönes Gefühl. Auch Liliana hatte irgendwann gelernt: „Diskutiere­n hat keinen Zweck. Es gab einfach jeden Tag die gleiche Predigt.“Und was war das für eine Predigt? „Na, ganz normale oberschwäb­ische Hausfrauen­weisheiten in Ethik und Moral“, sagt Ursula Stadler und lacht. Ihre Botschaft: „Wir sind alle ganz normale Saitenwürs­tle.“

Wer sich für das Angebot interessie­rt oder selbst die Funktion einer Gastfamili­e übernehmen möchte, kann sich bei der Arkade JuMeGa unter Telefon 0751 / 3665590, per E-Mail an info@arkade-jumega.de oder im Internet unter www.arkade-ev.de informiere­n.

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FOTO: ALENA EHRLICH Sozialarbe­iterin Katharina Grünvogel (links) unterstütz­t Eckard Probst und Ursula Stadler bei der Betreuung von schwierige­n Jugendlich­en.

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