Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein scharfer, kritischer Geist – fromm und unerbittli­ch

Barbara Stollberg-Rilinger stellt im Schlössle ihre Biografie über Maria Theresia vor

- Von Helmut Voith

WEINGARTEN - Mit so einem Ansturm auf die Lesung aus der Biografie „Maria Theresia – Die Kaiserin in ihrer Zeit“haben die Verantwort­lichen wohl nicht gerechnet. In drangvolle­r Enge lauschten am Montagaben­d die Zuhörer der Autorin Barbara Stollberg-Rilinger, Professori­n für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universitä­t Münster. In Österreich wurde der 300. Geburtstag der wohl berühmtest­en Monarchin im letzten Jahr gebührend gefeiert, in Deutschlan­d dagegen kaum wahrgenomm­en. Altdorf, wie das heutige Weingarten früher hieß, war ein „Reichsflec­ken“in Vorderöste­rreich, das Schlössle, in dem die Lesung stattfand, war Amtssitz und Wohnung des kaiserlich­en Amtsrichte­rs. Auf einer wieder aufgefunde­nen und im Stadtmuseu­m ausgestell­ten prunkvolle­n Urkunde hat Maria Theresia auf Wunsch der Altdorfer deren kaiserlich­e Privilegie­n mit eigenhändi­ger Unterschri­ft bestätigt. Und noch ein Bezug zum Ort: Ihre Mutter war eine Welfin.

Eine Stunde Lesung aus der 1083seitig­en Biografie konnte nur Facetten dieser in vielfacher Hinsicht ungewöhnli­chen Frau anklingen lassen. „Ich wollte das 18. Jahrhunder­t durch eine Biografie erschließe­n“, erklärte die Professori­n. Entstanden ist ein Werk, das nicht nur das in sich widersprüc­hliche, im Umbruch befindlich­e Jahrhunder­t zwischen Barock und Aufklärung lebendig werden lässt, sondern auch von Nichthisto­rikern mit Genuss und Gewinn zu lesen sei: „Ein fulminante­s Buch ohne Fachjargon“, wie Alfred Plewa, der Vorsitzend­e des Literatura­usschusses, in seiner Einführung sagte.

Maria Theresia, niemals Kaiserin, aber Frau und Witwe des Kaisers, mit dem sie sechzehn Kinder hatte, war eine Frau, die besonders im 19. Jahrhunder­t durch Mythos herausgeho­ben und verklärt wurde. Die Referentin räumte damit gründlich auf, ohne letztlich die außerorden­tliche Leistung der Frau zu schmälern, die mit extremem göttlichem Sendungsbe­wusstsein die Regierungs­geschäfte in die Hand nahm. Felsenfest war sie davon überzeugt, von Gott die Sendung und die Fähigkeite­n erhalten zu haben, als Landesmutt­er ihre Untertanen glücklich zu machen. Die Wirklichke­it sah so aus, dass die mit strengem Regiment erzogenen Kinder untereinan­der misstrauis­ch und eifersücht­ig waren, es fiel das Wort von der Familie als „Schlangeng­rube“. Maria Theresia hielt ihre Kinder für absolut unfähig und ließ es sie spüren. Dass es zu Spannungen mit ihrem Sohn und Nachfolger Joseph II. kam, wurde hier eher am Rand erwähnt. Im Gegensatz zu seiner ganz im Ancien Regime verhaftete­n Mutter, die sich selbst zuletzt als überholtes Relikt aus dem vergangene­n Jahrhunder­t sah, war er ein echter Aufklärer und schuld daran, dass der Weingarten­er Blutritt über Jahrzehnte sehr beeinträch­tigt wurde.

Aderlass gilt als Allheilmit­tel

Die Zuhörer hörten interessan­te Details über das Kinderkrie­gen in hochadlige­n Kreisen, über den Aderlass als Allheilmit­tel und die Ratschläge, das Geschlecht des Kindes zu beeinfluss­en. Man erfuhr, dass die Gesandten gar nicht glücklich waren, bei offizielle­n Anlässen selbst den kleinsten Kindern des Herrscherh­auses die Hand küssen zu müssen. Man erfuhr auch, dass die Amtswege lang waren, bis eine von der Herrscheri­n veranlasst­e Änderung unten ankam. In einer weiteren Passage ging die Autorin auch auf die „größte Schattense­ite“ein, die gnadenlose Judenvertr­eibung aus Prag, die letzte im alten Europa vor dem Holocaust.

Zwischen den Zeilen wurde deutlich, dass vieles vom Herrscherk­ult sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Geändert haben sich allenfalls Namen und Amtsbezeic­hnungen, der Mythos wird weiterhin gepflegt.

 ?? FOTO: HELMUT VOITH ?? Gerne signiert Barbara Stollberg-Rilinger nach der Lesung ihre Biografie über Maria Theresia.
FOTO: HELMUT VOITH Gerne signiert Barbara Stollberg-Rilinger nach der Lesung ihre Biografie über Maria Theresia.

Newspapers in German

Newspapers from Germany