Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nach Italien-Wahl bleibt Machtfrage offen
Rechtspopulistische Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung erheben Führungsanspruch
ROM - Italien präsentiert sich nach der Parlamentswahl stark verändert. Parteien, die bisher auf nationaler Ebene die Bühne dominiert hatten, stehen plötzlich im Abseits. Die drittgrößte Wirtschaftsmacht der EU ist, betrachtet man das Resultat dieses Urnengangs, mehrheitlich ausländerfeindlich und politisch rechts. Doch weder ein Bündnis noch eine Partei erreichte die notwendigen Mehrheiten im Parlament, um regieren zu können. Sowohl die rechtspopulistische Lega als auch die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung beanspruchen nun die Macht für sich.
Rücktritt von Renzi
Von den 45 Millionen Wahlberechtigten gaben etwa 73 Prozent ihre Stimme ab. Pessimisten hatten mit deutlich weniger gerechnet. Italiens stärkste Partei ist die populistische Fünf-Sterne-Protestbewegung. Deren Spitzenkandidat Luigi di Maio spach euphorisch von einer „historischen Wahl“: Rund 32 Prozent aller Italiener gaben dieser Partei ihre Stimme. Vor allem im südlichen Mittelund in Süditalien ist die FünfSterne-Protestbewegung stark.
Die regierenden Sozialdemokraten PD kamen nur auf knapp 19 Prozent. Noch nie schnitten Italiens Sozialdemokraten bei Parlamentswahlen so schlecht ab. Am Montagabend kündigte Matteo Renzi seinen Rücktritt vom Parteivorsitz der PD an. Die Niederlage zwinge die Partei, eine neue Seite aufzuschlagen, sagte Renzi. Zusammen mit kleineren Koalitionspartnern, wie der Südtiroler Volkspartei SVP, kommt das MitteLinks-Bündnis auf knapp 23 Prozent. Drittstärkste Partei Italiens ist die Lega von Matteo Salvini mit gut 17 Prozent. Die aus der ehemals nur auf Norditalien beschränkten rechten und ausländerfeindlichen Partei Lega Nord hervorgegangene Lega dominiert heute vor allem im nördlichen Mittel- und in Norditalien.
Salvinis Koalitionspartner während des Wahlkampfs war Medienzar Silvio Berlusconi. Er präsentierte sich als Chef der Mitte-Rechts-Koalition, der auch die kleine nationalistische Partei „Fratelli d’Italia“(unter vier Prozent) angehört. Doch von einer Chefrolle für Berlusconi kann aufgrund des Wahlergebnisses keine Rede mehr sein. Forza Italia rutschte auf einen historischen Tiefstand von 14 Prozent herab und ist demnach Juniorpartner der Lega. Matteo Salvini dominiert innerhalb des MitteRechts-Bündnisses vor Berlusconi. Das bedeutet die Dominanz einer Partei, die sich als italienischer Ableger des französischen Front National von Marine Le Pen versteht.
Rechnet man die Ergebnisse aller euroskeptischen und ausländerfeindlichen Parteien zusammen, der FünfSterne-Bewegung und des MitteRechts-Bündnisses, dann kommt man auf etwa 70 Prozent aller Stimmen. Der EU stehen in Sachen Einwanderungspolitik harte Zeiten bevor.
Der parlamentarische Fahrplan sieht jetzt zunächst die Wahl der Präsidenten der beiden Kammern Senat und Abgeordnetenhaus am 23. März vor. Ende März oder Anfang April beginnt Staatspräsident Sergio Mattarella mit den Konsultationen für eine Regierungsbildung. Wann diese Konsultationen abgeschlossen sein werden, ist ungewiss.
Sollten sich die Sozialdemokraten PD, die Fünf-Sterne-Bewegung und das Mitte-Rechts-Bündnis nicht in irgendeiner Formation als Koalition zusammenraufen, ist die Bildung einer sogenannten „Regierung des Präsidenten“nicht ausgeschlossen. Mattarella hätte im Fall einer fehlenden klaren Regierungsmehrheit, also im Fall einer Nichtkoalition, die Möglichkeit, einen Mann seiner Wahl mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Schon ist die Rede von dem noch regierenden Sozialdemokraten Paolo Gentiloni, der in Italien Umfragen zufolge immerhin als beliebtester Politiker des Landes gilt.
Doch so eine „Notnagelregierung“, wie sie von der Tageszeitung „La Repubblica“genannt wird, bliebe nur so lange im Amt, bis ein neues Wahlrecht verabschiedet würde, das klare Mehrheiten schafft.
Nicht ausgeschlossen ist eine Koalition der Lega oder von Forza Italia mit der aus den Wahlen hervorgegangenen stärksten Partei Italiens, der Fünf-Sterne-Bewegung – eine Partei, die sich weder als rechts noch links, sondern als Bürgerbewegung versteht, die bürgernahe Politik machen will, die die Einwanderung radikal reduzieren und eine Einheitssteuer für alle sowie ein Minimalgehalt für sämtliche arbeitenden Bürger einführen will. Eine Partei, die in nicht wenigen Punkten dem MitteRechts-Bündnis nähersteht als den Sozialdemokraten.
Ob die Fünf-Sterne-Bewegung, die seit Jahren die anderen Parteien als „korruptes System“verteufelt, jetzt mit einen Teil dieses „Systems“eine Regierungskoalition bilden wird, ist ungewiss, aber auf längere Sicht nicht undenkbar.