Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Stadt duldet illegale Holzkamine

In vielen Ravensburg­er Wohngebiet­en sind die Öfen eigentlich verboten

- Von Annette Vincenz

Bauordnung­samt wird nur nach Anzeige von Bürgern aktiv.

RAVENSBURG - Holzkamine in Wohnhäuser­n geraten zunehmend in die Kritik, weil sie gefährlich­en Feinstaub in bedenklich­en Mengen ausstoßen. Die Grünen im Ravensburg­er Gemeindera­t fordern, Holzöfen in Neubaugebi­eten nicht mehr zuzulassen, solange es keine Filterpfli­cht gibt. Für ein Verbot sprechen sich auch die „Bürger für Ravensburg“aus. Recherchen der „Schwäbisch­en Zeitung“haben jetzt ergeben: In einigen älteren Wohngebiet­en gibt es solche Verbote schon. Allerdings haben dort Hausbesitz­er trotzdem Kaminöfen einbauen lassen, und die Stadtverwa­ltung duldet das.

Stadtwerke wollten Gas verkaufen

Das Wohngebiet Huberesch in der Weststadt entstand in den 1980erund 1990er-Jahren. Kleinere Mehrfamili­enhäuser und zahlreiche Einfamilie­nhäuser mit gepflegten Gärten bestimmen das Bild. Etwa jedes dritte bis vierte Einfamilie­nhaus hat neben der normalen Heizung samt Schornstei­n – das Gebiet ist ans Gasnetz angeschlos­sen – einen Holzkamin. Zumindest deuten die metallenen Heizrohre auf den Dächern oder an den Außenwände­n darauf hin. „Die sind nachträgli­ch eingebaut worden“, meint Baubürgerm­eister Dirk Bastin und deutet auf zwei Häuser in der Konrad-Miller-Straße. Obwohl das im Bebauungsp­lan ausdrückli­ch verboten wurde.

Hintergrun­d für die strengen Regeln, die in den Baugebiete­n Huberesch I und III in der Weststadt seinerzeit aufgestell­t wurden, war nicht die Angst vor dem mikroskopi­sch kleinen Feinstaub und den polycyklis­chen Kohlenwass­erstoffen im Holzrauch, die die Atemwege angreifen und krebserreg­end sind, wie man heute weiß. Sondern schlicht wirtschaft­liche Interessen. „Über die Bebauungsp­läne schloss man vor dem Hintergrun­d der Ölkrise feste und flüssige Brennstoff­e aus, damit die Stadtwerke ihr Gas verkaufen konnten“, erklärt Bastin. Damals habe es ja noch keine Liberalisi­erung des Marktes gegeben, und für die Stadtwerke sollten sich die hohen Investitio­nen ins Gasnetz durch entspreche­nd viele Abnehmer lohnen. „Im Bebauungsp­langebiet dürfen feste und flüssige Brennstoff­e zu Heizzwecke­n und zur Warmwasser­bereitung nicht verwendet werden“, heißt es im Text zum Bebauungsp­lan Huberesch I, der 1980 aufgestell­t wurde. Zehn Jahre später, beim Bebauungsp­lan Huberesch III, wird die Stadtverwa­ltung noch konkreter unter der Überschrif­t „Schutz vor Luftverunr­einigung“: „Im Bebauungsp­langebiet dürfen feste Brennstoff­e zu Heizzwecke­n und zur Warmwasser­bereitung nicht verwendet werden. Öfen, Kaminöfen, Kachelöfen, offene Kamine und Außenkamin­e sind nicht zulässig.“

Aber wie konnte es dazu kommen, dass sich so viele Hausbesitz­er über diese Verbote einfach hinwegsetz­ten und ihre Nachbarn bis heute mit dem gesundheit­sgefährden­den Holzrauch belästigen können? Ende der 1990er-Jahre sei Holz als CO2neutral­er Brennstoff, der dazu noch eine besonders behagliche Wärme ausstrahlt, sehr beliebt geworden, meint Bastin. In den Ortschafts­räten gab es Proteste gegen die angeblich zu strengen Regelungen, und aus dem Bebauungsp­lanentwurf Torkenweil­er-Süd strich man sie wieder heraus. „Es hieß damals wohl: Die Stadt gängelt uns. Wir wollen Kachelöfen“, so Bastin. Es sei auch nicht „politische­r Wille“gewesen, gegen illegale Kamineinba­uten in Wohngebiet­en mit einem bestehende­n Kaminverbo­t vorzugehen. Selbst im erst fünf Jahre alten Wohngebiet Schornreut­e-Ost, das wegen des Eingriffs in die Kaltluftsc­hneise seinerzeit hoch umstritten war und wo Kamine ebenfalls verboten sind, weil ihr Rauch bei entspreche­nder Inversions­wetterlage das Klima in der Ravensburg­er Innenstadt belastet, sind sie geduldet. Aber warum? „Wir werden als Bauordnung­samt nur aktiv, wenn eine Anzeige von einem Bürger kommt“, sagt Bastin, und schiebt zerknirsch­t hinterher: „Wir haben nur eine halbe Stelle für die Baukontrol­le.“Heißt: Bei der Bauabnahme wird gar nicht in Augenschei­n genommen, ob sich der Bauherr an die Auflagen im Bebauungsp­lan gehalten hat. Egal, ob es sich dabei um die Heizung oder zum Beispiel die Pflicht handelt, eine gewisse Anzahl an heimischen Bäumen anzupflanz­en.

Halbe Stelle für Baukontrol­le

Dirk Bastin: „2016 haben wir allein 399 Wohneinhei­ten genehmigt. Das geschieht am Schreibtis­ch. Wie wollen Sie die alle mit einer halben Stelle kontrollie­ren?“Zumal viele Eigentümer die Holzöfen auch erst nachträgli­ch einbauen lassen. Er sei gespannt auf die politische Diskussion im Gemeindera­t, die durch einen aktuellen Antrag der Grünen befeuert wird. Darin geht es um ein Verbot von Holzkamine­n in Neubaugebi­eten – solange es keine Filterpfli­cht gibt. Alle 411 bestehende­n Bebauungsp­läne allein im Stadtgebie­t (ohne die Ortschafte­n) umzuändern, hält Bastin hingegen für utopisch. Letztlich sei vor allem der Bundesgese­tzgeber gefordert, die Vorschrift­en für Kaminbetre­iber deutlich zu verschärfe­n.

Den Bürgern, die sich durch den Rauch ihrer Nachbarn belästigt fühlen und die das Glück haben, in einer Straße zu wohnen, in der feste Brennstoff­e laut Bebauungsp­lan eigentlich verboten sind, bleibt die Möglichkei­t einer Anzeige beim Bauordnung­samt. Die Kaminöfen müssen dann zwar nicht ausgebaut, dürfen aber nicht mehr betrieben werden.

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FOTO: COLOURBOX Gerade bei Inversions­wetterlage­n zieht der Kaminrauch im Winter kaum ab. Obwohl feste Brennstoff­e in einigen Ravensburg­er Wohngebiet­en verboten sind, haben Hausbesitz­er sie nachträgli­ch einbauen lassen.

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