Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie aus dem „Deffnerbau“das Hotel „Kaiserhof“wurde
Spektakulärer Umbau mit „Gebäudehebung“im Jahre 1905
RAVENSBURG - Der mächtige Gebäudekomplex des einstigen Hotels „Kaiserhof “(später Möbel Maurer) an der Ecke Eisenbahn- und Mauerstraße in Ravensburg hat eine wechselvolle Geschichte.
Ursprünglich von der gegenübergelegenen Niederlassung der Deutschordenskommende Altshausen (Eisenbahnstraße 35) in der Reichsstadt Ravensburg als Getreidespeicher errichtet, war er nach der Aufhebung des Deutschen Ordens (1809) von 1825 bis 1851 als Wagenremise des Thurn und Taxis’schen Postamtes genutzt worden. Danach ging er durch Kauf an den aus Esslingen stammenden Textilkaufmann Otto Deffner über, der sich politisch als liberaler Demokrat und als einer der zentralen Köpfe der 1848/49er-Revolution in Ravensburg profiliert hatte.
Nach Umbauten eröffnete Deffner hier 1856 eine Baumwollweberei und -stickerei, in der vier Jahre später bereits mehr als 100 Arbeiter beschäftigt waren. Nach dem Tod Deffners im Jahre 1878 legte seine Witwe den Betrieb jedoch still und ließ den ausgedehnten Bau in mehreren Schritten zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgestalten. Schließlich erwarb der Ravensburger Kaufmann und Gemeinderat Georg Möhrlin 1899 den „Deffnerbau“, wie der Komplex mittlerweile allgemein bezeichnet wurde, von den Erben der Witwe. Ein paar Jahre später wurde er vom Gemeinderat und Bürgerausschuss in seinem Vorhaben unterstützt, hier, verkehrsgünstig zwischen Bahnhof und Stadtmitte gelegen, unter der Leitung seines Sohnes Eduard ein Hotel und Restaurant „I. Ranges“(Möhrlin) zu realisieren.
Die gewachsene Bedeutung der Stadt als Behörden- und Schulstandort, der wirtschaftliche Aufschwung jener Jahre mit einer stark steigenden Zahl von Geschäftsreisenden und auch der aufstrebende Fremdenverkehr hatten vor Ort den Bedarf an Hotelkapazitäten der gehobeneren Klasse wachsen lassen. Angesichts der für ordentlich befundenen Bausubstanz erschien es Möhrlin kosten- und zeitsparender, keinen vollständigen Neubau aufzuführen, sondern den „Deffnerbau“ lediglich umzubauen und soweit anheben zu lassen, damit eine höhere, massive Erdgeschosszone, nicht zuletzt für die geplanten repräsentativen Säle und Restauranträume, dazwischen platziert werden konnte.
Die Methode, Häuser zu heben, war in den USA entwickelt worden. In Württemberg spezialisierte sich in den Jahren nach 1900 der gelernte Zimmermann und Stuttgarter Bauunternehmer Erasmus Rückgauer auf diese Technik. Ohne größere Probleme wurden nach seinem Verfahren unter anderem in Ulm, Nürtingen, Altensteig, Göppingen und Esslingen Gebäude angehoben und somit vergrößert. Auch in Ravensburg hatte es kurz zuvor erfolgreiche Umbauten mit „Hebungen“gegeben, so bei der Gänsmühle (1904) und bei den beiden Volksschulhäusern in der Wilhelmstraße (1902/04); hier war diese Möglichkeit bereits bei ihrem Bau 1882 einkalkuliert worden, falls steigende Schülerzahlen in der Zukunft weitere Klassenräume erforderlich machen sollten.
Haus wurde gehoben
Doch die „Hebung“des Deffnerbaus hatte eine ganz andere Dimension, galt es hier doch, zwei Stockwerke samt Dach eines sehr lang gestreckten Gebäudes um etwa 2,70 Meter anzuheben, um dann Stahlträger einziehen und schließlich massive Erdgeschossmauern aufrichten zu können. Diese spektakuläre, viel bestaunte Aktion ging im Laufe des Jahres 1905 unter Leitung des Ravensburger Werkmeisters August Zimmermann planmäßig über die Bühne. Es waren viel Fingerspitzengefühl und Umsicht erforderlich, um die zahlreichen Winden gleichmäßig anzuziehen, die vielen Holzkeile einzutreiben und dann die Stützpfosten zu platzieren.
Doch als gegen Ende des Umbaus das in der Eisenbahnstraße östlich angrenzende Gebäude mit der Absicht, es dem künftigen Hotelkomplex anzugliedern, ebenfalls gehoben wurde, ereignete sich am 1. Dezember 1905 doch noch ein Unglück. Dieser obere Teil stürzte kurz vor Mittag in sich zusammen; glücklicherweise hatten sich die Bauarbeiter, von Werkmeister Zimmermann aufgrund knackender Geräusche und eines leichten Schwankens des Gebäudes gewarnt, noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können.
Diese Flanke wurde in den folgenden Monaten völlig neu errichtet und dem Stil der übrigen Hotelfassaden angeglichen. Nach Plänen des bekannten Ravensburger Architekten Hermann Kiderlen (1874-1957) wurden die langen, bislang nüchtern anmutenden Straßenfronten des einstigen „Deffnerbaus“in vornehm neubarocken, an großstädtische Vorbilder erinnernden Stilformen umgestaltet. Das überhöhte neue Erdgeschoss wurde durch eine Bandrustikagliederung und eng gesetzte, große Flachbogenfenster akzentuiert, die oberen Stockwerke nicht zuletzt durch dekorativ vorgeblendete Wandpfeiler gegliedert, während das teils ausgebaute Mansarddach durch mächtige, geschweifte Giebelaufbauten eine lebhafte Silhouette erhielt.
Das neue Hotel, das über rund 30 Zimmer, eine Reihe prachtvoll ausgestalteter Säle, eine große Küche mit Speiseaufzügen, Zentralheizung, elektrische Beleuchtung und moderne Brandschutzvorrichtungen verfügte, wurde am 25. Februar 1906 feierlich eröffnet. Benannt wurde es nach dem in der Nähe stehenden, 1890 fertig erstellten Denkmal für Kaiser Wilhelm I. War der Einsturz des oberen Teils des „Deffnerbaus“in Ravensburg noch glimpflich ausgegangen, so geriet wenige Monate später ein Umbau in Nagold (Nordschwarzwald) zur Katastrophe.
Der dortige Gasthof „Hirsch“wurde am 5. April 1906 um 1,65 Meter gehoben, um einen größeren und höheren Saal errichten zu können. Leichtsinnigerweise lief währenddessen der Gasthausbetrieb weiter; über 100 Menschen sollen sich in dem Gebäude befunden haben. Kurz vor Vollendung der „Hebung“stürzte der „Hirsch“plötzlich in sich zusammen. Offenbar waren die Winden ungleichmäßig angezogen worden, sodass das Gebäude immer instabiler wurde. 53 Tote – Bauarbeiter, Gäste und Zuschauer – waren bei diesem Einsturzunglück in Nagold zu beklagen. Aber auch in den Jahren danach fanden in Württemberg noch einzelne „Hebungen“von Häusern statt.