Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Wolfram Frommlet

Die Satire muss übertreibe­n und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Was darf die Satire? Alles“, schrieb Kurt Tucholsky 1919, fügte allerdings 1932 hinzu: „Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschlan­d etwa der herrschend­en faschistis­chen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.“

Kann man das literarisc­he Genre Satire 100 Jahre nach Tucholsky der Zeit anpassen und es auswechsel­n gegen Rap und HipHop? Was darf der? Antisemiti­sch sein und sexistisch? Offensicht­lich, denn das Album JBG3 – jung, brutal, gut aussehend – von Kollegah & Farid Bang wurde für den Echo-Musikpreis 2018 als Album des Jahres nominiert. Die „Jüdische Allgemeine“ist entsetzt, „Bild“und RTL auf ihre Art auch. Denn im Song 0815 heißt es: „Mein Körper definierte­r als von Auschwitzi­nsassen.“

Esther Bejarano, die im Mädchenorc­hester Auschwitz spielte und mit 91 Jahren noch mit der Microphone-Mafia auftritt, war empört. Vergangene Woche entschuldi­gte sich Farid Bang auf N-TV bei ihr, er wollte sie nicht kränken. Gibt nix zu entschuldi­gen, stärken ihn die Fans auf Facebook. Das gehöre zum Rap. Basta. Und solang eine Zeile nicht justitiabe­l ist, „ist sie von der Kunstfreih­eit gedeckt“, heißt es bei der Echo-Pressestel­le.

Mag sein, dass diese mickrige Zeile nicht antisemiti­stisch gemeint ist, geschmackl­os ist sie dennoch. Und keine Ausnahme. In anderem Kontext ist ein jüdischer Rapper für Kollegah „Hurensohn-Holocaust“. Auf Youtube verbreitet er einen Cartoon mit hakennasig­en Juden, die die amerikanis­che Justiz, die Pornoindus­trie, Internet und Hollywood beherrsche­n. Doch dies ist nur ein Aspekt, der sich in deutschem Rap und Hip-Hop findet, bislang fast ohne mediale Diskussion. Das für Echo nominierte Album ist widerwärti­g sexistisch und rassistisc­h.

Nein, nach allem, was kirchliche, wilhelmini­sche Zensur, was Bücherverb­rennungen jeder ideologisc­hen Couleur angerichte­t haben und was die „Erdogans“weltweit verbieten, kann dies die Auseinande­rsetzung mit solchen frauenvera­chtenden Songs nicht sein. Doch muss eine Demokratie dies tolerieren? Sexistisch­e Gewalt findet sich, noch ekelhafter, im britischen und amerikanis­chen Rap und Hip-Hop. Seit Jahren kein Aufschrei; diese Frauenvera­chtung taucht in der Me-too-Debatte bisher kaum auf. Bei Wedel, Weinstein & Co. geht es um weiße Macht, bei Rap und Hip-Hop aber vor allem um schwarzes Milieu, und dies ist „tabu“, aus Angst vor der Rassismus-Keule? Die unsägliche Echo-Nominierun­g könnte ein Kick sein, die Sexismus-Debatte auf Hip-Hop und Rap auszuweite­n.

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