Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mutproben ja, Schleiferei nein: Pfullendorfer Ausbilder gehen neue Wege
Nach Skandaljahr will das Ausbildungszentrum Spezielle Operationen stärker auf Rekruten eingehen – Anforderungen bleiben aber hoch
PFULLENDORF - Zwölf Meter ist der Turm hoch, von dem der Obergefreite Marco A. (Namen von der Redaktion geändert) gleich springen soll, gesichert durch ein dickes Seil: „Passieren kann nichts“, erklärt der Ausbilder, Oberstabsfeldwebel Dirk. K., „eine Seilbremse reguliert die Fallund Aufprallgeschwindigkeit.“Auf „Drei“springt der junge Soldat, kommt auf beiden Beinen auf dem Boden auf und meldet: „Stand“. Eine Mutprobe, die im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf zum Ausbildungsprogramm gehört: „Für einen künftigen Fallschirmspringer gehört es dazu, zu springen“, sagt der Kommandeur des Zentrums, Oberst Carsten Jahnel, „wer das nicht kann, kann eben kein Fallschirmspringer werden.“Gezwungen oder entlassen werde niemand, der die Mutprobe nicht besteht: „Dann geht er oder sie eben einen anderen Weg, wird Fernmelder oder Nachschieber.“
Seit einem Jahr steht Jahnel, selber Fallschirmspringer-Offizier und Vater von fünf Kindern, an der Spitze des Ausbildungszentrums. Er will die Einrichtung aus den Schlagzeilen herausbringen. Anfang 2017 hatten Berichte über angebliche sexuell-sadistische Praktiken die Öffentlichkeit schockiert. Die Justiz bestätigte diese Vorwürfe nicht. Darüber hinaus ging es um qualvolle Aufnahmerituale: Vier Soldaten wurden entlassen. Zuletzt hatten Anfang März mehrere Soldaten eine Übung bei Eiseskälte abbrechen müssen. Und in der Öffentlichkeit wurde die Frage gestellt: „Ist die Ausbildung zu hart?“Mit einem veränderten Ausbildungskonzept will Jahnel auf die sich ständig verändernden Anforderungen gerade in Auslandseinsätzen einerseits und die individuelle Leistungsfähigkeit der jeweiligen Soldaten andererseits reagieren.
„Jede Ausbildung im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen ist körperbetont“, stellt Jahnel klar, „unser Auftrag ist die trainingsgebundene Ausbildung für nationale Spezialkräfte und spezialisierte Kräfte.“Es geht um Aus- und Weiterbildung, um die Überlebensausbildung für fliegerisches Personal der Bundeswehr und um die Ausbildung künftiger Kommandosoldaten im Kommando Spezialkräfte (KSK) und in der Division Schnelle Kräfte (DSK). Ständig werden in 54 nationalen und 21 internationalen Trainings 500 bis 700 Angehörige aller Teilstreitkräfte und aus neun Nato-Mitgliedsländern in der Kaserne ausgebildet.
„Wir bereiten auf das Unbekannte vor“, beschreibt Jahnel den Grundsatz, „wir bereiten die Soldaten darauf mental und körperlich vor.“Die Bundeswehr benötige vor allem in den Auslandseinsätzen „Menschen, die keine Befehle abwarten, sondern Situationen erkennen und dann selbstständig nach Recht und Gesetz der Bundesrepublik sowie im Sinne der Inneren Führung handeln.“
Die körperliche Ausbildung sei elementar wichtig für den Erfolg der Missionen „und dafür, dass die Kameraden heile nach Hause kommen.“Durchschlageübungen, Geländeläufe, Klettern und Abseilen am Sprungturm oder Übernachtungen im Wald gehören zum Programm: „Wir bilden Piloten so aus, dass sie nach einem Absturz beispielsweise im Freien überleben können – und dort gibt es keinen Supermarkt.“Daher lernten die Luftwaffen-Soldaten, Hasen zu jagen, Forellen zu angeln „und sie dann auch zu schlachten“.
Manche waren noch nie im Wald
Diesen hohen Anforderungen allerdings werden Bewerber, die sich für den Dienst in der Truppe interessieren, immer seltener gerecht: „Wir erleben Soldaten, die zu uns kommen und keinerlei Erfahrungen im Vereinssport haben, die selten draußen waren, die nicht fit sind“, beschreibt Jahnel seine Erfahrungen und fügt kopfschüttelnd hinzu: „Manch‘ einer war auch noch nie im Wald!“Die eintägigen Tests in den Karrierecentern der Bundeswehr könnten keine validen Hinweise auf die körperliche Leistungsfähigkeit geben.
Daher wird die körperliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Soldaten jetzt vor Ort getestet, eingeordnet und kontrolliert. Die körperliche Unversehrtheit stehe an erster Stelle. „Wir werden dann eben drei oder vier Leistungsgruppen pro Ausbildungszug haben“, erläutert Jahnel die Umsetzung.
Bei einem Geländelauf im Januar, den sechs Soldaten wegen körperlicher Erschöpfung oder Verletzung abgebrochen haben, hatte es nur eine Leistungsgruppe gegeben. Eine Soldatin war zusammengebrochen und musste daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Bundeswehr versetzte einen Ausbilder und ermittelt intern. „Und wir werden von nun an jeden Soldaten einzeln befragen, ob er sich für die Anforderungen fit genug fühlt“, kündigt Jahnel an: „Jene Soldatin hätte an der Ausbildung nicht teilnehmen dürfen, da sie eine nicht auskurierte Grippe mit sich herumschleppte.“Das aber habe die Frau den Ausbildern nicht berichtet.
Ein weiteres Problem, das im vergangenen Jahr bekannt geworden war: Langgediente Ausbilder hatten mit angeblichen Auslandserfahrungen geprahlt, sadistische Methoden eingefordert. Von „Schleifern alter Schule“war die Rede. Daher setzt Jahnel jetzt auf einen schnelleren Austausch zwischen Erfahrungen in der Truppe, im Ausland und in der Ausbildung: „Ausbilder sollten drei, höchstens vier Jahre hier in Pfullendorf bleiben und dann zurück in die Truppe“, sagt der Kommandeur. In der Vergangenheit sei hier „die Entwicklung verschlafen worden“, kritisiert Jahnel und fügt optimistisch hinzu: „Die Trendwende Personal greift erst noch.“