Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Brandt führt den Vizemeister vor
Der Leverkusener ist beim 4:1-Coup bei RB Leipzig der überragende Mann
LEIPZIG (dpa/SID) - Alarm bei Vizemeister RB Leipzig. Nach der 1:4Heimpleite gegen Bayer Leverkusen muss das Team von Trainer Ralph Hasenhüttl mehr denn je um die Champions League zittern. 41 Gegentore kassierten die Leipziger bereits – mehr als in der gesamten vergangenen Spielzeit. Hinzu kommt die schlechteste Trefferbilanz aller sechs Teams, die um die begehrten drei Plätze hinter Serienmeister FC Bayern kämpfen.
Eine Trotzreaktion am Donnerstag im Viertelfinalrückspiel der Europa League käme zur rechten Zeit, bevor es am Sonntag in der Liga zu Werder Bremen geht. „Wir müssen das Spiel schnell abhaken, um in Marseille ein anderes Gesicht zu zeigen“, forderte Hasenhüttl nach der Niederlage gegen den neuen Tabellenvierten Leverkusen, der nun zwei Zähler vor dem Sechsten Leipzig liegt. Punktgleich vor RB rangiert auch noch Eintracht Frankfurt. Immerhin: Leverkusen und Frankfurt treffen am Samstag aufeinander und können beide nicht voll punkten, dasselbe gilt für den Tabellenzweiten Schalke und den Dritten Dortmund am Sonntag.
Das Restprogramm der Leipziger (Bremen, Hoffenheim, Mainz, Wolfsburg, Berlin) ist eigentlich zu leicht, um es nicht in die Champions League zu schaffen. Doch das Problem ist offensichtlich: „Wir können immer Tore machen, dürfen aber nicht so viel zulassen“, sagte Hasenhüttl. Verdient war der Sieg einer vom überragenden Julian Brandt angeführten, taktisch wie spielerisch beeindruckenden Bayer-Elf auch in der Höhe. „Wie entfesselt“habe seine Mannschaft nach der Pause aufgespielt, meinte Leverkusens Trainer Heiko Herrlich.
Leipzig hatte dem nichts entgegenzusetzen. Kreativspieler wie Emil Forsberg oder der später auch noch verletzt ausgeschiedene Naby Keita, dessen Einsatz in Marseille trotz einer Hüftprellung nicht gefährdet sein soll, waren neutralisiert. Timo Werner mühte sich und bereitete die Leipziger Führung durch Marcel Sabitzer (17.) mit vor. Bedenklich aber war die Leistung der Defensive, die die Bayer-Tore von Kai Havertz (45.), Brandt (51.), Panagiotis Retsos (56.) und Kevin Volland (69.) fast ohne Gegenwehr zuließ. Die Außenverteidigermisere – Marcel Halstenbergs Kreuzbandriss im Januar und Konrad Laimers Muskelriss in der vergangenen Woche – machte sich deutlich bemerkbar. Alle vorherigen Ansagen des Trainer-Teams halfen nichts, die sieben RB-Spiele ohne Niederlage konnten nicht über die Probleme im Defensivbereich täuschen. „Ich glaube, dass wir vor dem Spiel sehr, sehr kritisch umgegangen sind mit den Jungs, gerade nach dem letzten Sieg gegen Marseille, als wir schon sehr viele Chancen zugelassen hatten. Ich würde mir heute mehr Vorwürfe machen, wenn ich es nicht thematisiert hätte“, sagte Hasenhüttl, dessen Co-Trainer Zsolt Löw laut „Bild“Wunschkandidat von Thomas Tuchel für ein mögliches Engagement bei Paris Saint-Germain sein soll.
Worüber Hasenhüttl und Löw bis zum Anstoß (21.05 Uhr) im Stade Vélodrome mit ihrer Mannschaft reden werden, dürfte klar sein. „Wir wissen, dass wir besser verteidigen können. Dort werden wir den Hebel ansetzen“, sagte Hasenhüttl.
Leverkusens Julian Brandt dagegen durfte den Abend und die Woche genießen. Erst verlängerte er seinen Vertrag bis 2021, dann führte er seinen Club mit einer Galavorstellung zum Triumph und nährte die Hoffnung auf eine Rückkehr der Werkself in die Champions League. Und das vor den Augen von Bundestrainer Joachim Löw, der sich seine Kandidaten für eine WM-Nominierung ansah.
WM-Werbung betrieben
„Wenn du einen Vertrag verlängerst oder woanders unterschreibst, ist das im Unterbewusstsein eine kleine Befreiung. Vielleicht waren das die paar Prozente, die mir in den vergangenen Wochen noch gefehlt haben“, begründete der 21-Jährige seine überragende Leistung. In der Bayer-Offensive war er der Spiritus Rector, der von keinem RB-Spieler gestellt werden konnte. In den Sprintduellen sah RB-Linksverteidiger Bernardo fast immer die Hacken Brandts, der auch die übrigen Abwehrspieler zu Slalomstangen degradierte. Die Krönung waren sein Tor zum 2:1 und sein Assist zum 4:1 Vollands. Und vor dem 3:1 trat Brandt den Freistoß, den RB-Verteidiger Dayot Upamecano unglücklich verlängerte. Mit Kumpel Kai Havertz, dem erst 18-Jährigen, ist Brandt so etwas wie ein Versprechen auf eine erfolgreiche Bayer-Zukunft. „Sie sind sehr spielstark und wollen immer in die Halbräume rein. Das ist uns oft gut gelungen“, sagte Herrlich über sein Traumduo.
Genau solche Typen sucht Löw für die WM. Beim Olympiasilber in Rio und dem Confed-Cup-Sieg in Russland zeigte Brandt, wie wichtig er in der Auswahl sein kann. „Ich versuche, jetzt weiter Gas zu geben“, sagte er. „Alles andere kommt dann auch.“