Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Wir waren auch zu wohlerzogen“
Ehemalige Klösterle-Schülerinnen erinnern sich an ihre Schulzeit anno 1958
RAVENSBURG - Nach 60 Jahren ein Klassentreffen – so weit, so gut. Dass sich jedoch ehemalige KlösterleSchülerinnen wiedersehen, die in den späten 1950er-Jahren von Nonnen gottesfürchtig, keusch und streng erzogen worden sind, das macht schon neugierig. Wir durften ausnahmsweise auf ein Tässchen Bohnenkaffee zum Klassentreffen im Nebenzimmer der „Goldenen Uhr“dazustoßen und konnte ein paar Interna aufschnappen.
„Wir galten als verklemmt“
„Wir waren halt auch nicht aufgeklärt“, „Naja, sagen wir mal: unbedarft“, „Vielleicht waren wir denen auch zu wohlerzogen“– all das reflektieren die neun Damen 60 Jahre später bei ihrem Klassentreffen. Das Gespräch dreht sich aktuell um die damalige Blamage, keine Jungengruppe für einen Tanzkurs gefunden zu haben. Oder es war so, wie es Emilie Schlösser kurz und bündig auf den Punkt bringt: „Wir Klösterle-Schülerinnen galten bei den Jungs wohl als verklemmt.“Die Kehrseite der Medaille jedoch war eben genau jener gute Ruf, der den Klösterle-Absolventinnen vorauseilte. „Jeder Chef war beglückt, wenn er ,Klösterle’ hörte. Wir hatten quasi unbesehen eine Lehrstelle. Auch weil klar war: Die geben keine Widerworte“, erinnert sich Schlösser.
Streng und gottesfürchtig muss es zugegangen sein. Damals unterrichteten im Klösterle ausschließlich Nonnen aus der Ordensgemeinschaft „Die Armen Schulschwestern unserer Lieben Frau“, deren Mutterhaus in München stand und die noch heute als der größte weibliche Schulorden der katholischen Kirche gelistet ist. Bereits im Jahr 1860 kamen die Ordensschwestern nach Ravensburg und gründeten die Klosterschule „Klösterle“. Die Schulschwestern sind es somit auch, die das Leben der pubertären Mädchen prägten.
„Schwester Jadwiga? Die hatten wir in Musik. Die Gartenschwester hieß Kionia! Und dann vor allem Schwester Edelberga – die mahnte immer ‚Schlagt die Augen nieder, der Verführer naht‘, wenn ein Junge in unser Sichtfeld kam“, schnattern die Damen durcheinander. Und mit den Erinnerungen an die Schulschwestern ringeln sich auch andere Erlebnisse ins Bewusstsein. Im Grunde nämlich scheint das Klösterle-Leben ein – wie man damals vielleicht gesagt hätte – fideles gewesen zu sein. 38 Mädchen besuchten gemeinsam eine Klasse, ein gutes halbes Dutzend war sogar im hauseigenen Internat untergebracht – meist in Sechsbettzimmern. „Im Sommer schon um halb neun Uhr ins Bett zu müssen, das war schon streng“, erinnert sich eine der Internen. „Und der Sonntagsspaziergang, flankiert von Nonnen vorne und hinten, ist der maximale Spaß für uns Klosterjuckel gewesen.“
Tatsächlich aber schwirren Geschichten über nächtliche Ausflüge in die Kloster-Küche über den Tisch. Dass Ursel stets „Ufirm“im Kopf hatte und Brigitte als eine der wenigen nicht als Schulschwester-Novizin infrage kam. Wer wann einen Busen mit welchen Ausmaßen entwickelt hat, auch das wissen alle noch recht genau. Und die Damen geraten buchstäblich ins Schwärmen bei der Erinnerung an einen schönen italienischen Pfarrer, der im Klösterle hätte Deutsch lernen sollen und sie unerlaubterweise mit ins Kino nahm, in einen Film, in dem sich ein Paar geküsst hat. „Da hatten wir alle rote Köpfe im dunklen Saal“, gesteht eine der Frauen.
Die jungen Mädchen von einst, Emilie und Margret, Ursel und Brigitte und eine paar Marias sind natürlich heute, mit Ende 70, längst Rentnerinnen. Gelernt aber haben sie nach der dreijährigen Aufbaumittelschule alle anständige Berufe im Jahr 1958: Buchhalterin, Büroangestellte oder Bankkauffrau. Standen doch neben den sattsam bekannten Fächern wie Deutsch und Mathematik auch berufsvorbereitende Fächer wie Steno, Schreibmaschine und Buchführung auf dem Stundenplan. Und damit aus den 14- und 15-jährigen Mädchen züchtige und nützliche Ehefrauen werden würden, unterrichteten die Ordensschwestern die Heranwachsenden nicht nur in Naturlehre, Hauswirtschaft und Kochen.
„Gefahren der späten Stunde“
Als sagenhaftes Zeugnis aus den Jahren 1957/58 an der Aufbaumittelschule liegt nämlich ein Buch aus dem Fach „Erziehungslehre“auf dem Tisch – zwischen Tassen mit koffeinfreiem Kaffee und halb leeren Wassergläsern. Von ordentlicher Gemütsbildung und strenger Willenspflege steht dort geschrieben. Seligkeit hänge nicht nur von den Geldmitteln ab, musste von jedem Mädchen einzeln in Reinschrift auf die Buchseiten gebracht werden. Die „Reifezeit von Jugendlichen“wird vorsichtig und in gesetzten Worten beschrieben. Und immer wieder ist die Rede von „edler Selbstzucht“und den „Gefahren der späten Stunde“.
Keineswegs als Randnotiz und nicht nur zum guten Schluss möchten alle Klösterle-Schülerinnen eines herausstreichen: Sie denken gerne an ihre Schule zurück. „Es hat uns nicht geschadet“, ist einer der häufigsten Sätze. Und damit meinen die Damen auch die Monoedukation, ohne Jungs in der Klasse. Immerhin sind heute alle verheiratet, haben Kinder und Enkel bekommen. Nur Maria, ein lebensfrohes Mädchen aus Tettnang, sagt gelassen: „Ich war nicht so fromm. Ich hab damals zuerst ein Kind und dann einen Trauschein gekriegt.“