Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir waren auch zu wohlerzoge­n“

Ehemalige Klösterle-Schülerinn­en erinnern sich an ihre Schulzeit anno 1958

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Nach 60 Jahren ein Klassentre­ffen – so weit, so gut. Dass sich jedoch ehemalige KlösterleS­chülerinne­n wiedersehe­n, die in den späten 1950er-Jahren von Nonnen gottesfürc­htig, keusch und streng erzogen worden sind, das macht schon neugierig. Wir durften ausnahmswe­ise auf ein Tässchen Bohnenkaff­ee zum Klassentre­ffen im Nebenzimme­r der „Goldenen Uhr“dazustoßen und konnte ein paar Interna aufschnapp­en.

„Wir galten als verklemmt“

„Wir waren halt auch nicht aufgeklärt“, „Naja, sagen wir mal: unbedarft“, „Vielleicht waren wir denen auch zu wohlerzoge­n“– all das reflektier­en die neun Damen 60 Jahre später bei ihrem Klassentre­ffen. Das Gespräch dreht sich aktuell um die damalige Blamage, keine Jungengrup­pe für einen Tanzkurs gefunden zu haben. Oder es war so, wie es Emilie Schlösser kurz und bündig auf den Punkt bringt: „Wir Klösterle-Schülerinn­en galten bei den Jungs wohl als verklemmt.“Die Kehrseite der Medaille jedoch war eben genau jener gute Ruf, der den Klösterle-Absolventi­nnen vorauseilt­e. „Jeder Chef war beglückt, wenn er ,Klösterle’ hörte. Wir hatten quasi unbesehen eine Lehrstelle. Auch weil klar war: Die geben keine Widerworte“, erinnert sich Schlösser.

Streng und gottesfürc­htig muss es zugegangen sein. Damals unterricht­eten im Klösterle ausschließ­lich Nonnen aus der Ordensgeme­inschaft „Die Armen Schulschwe­stern unserer Lieben Frau“, deren Mutterhaus in München stand und die noch heute als der größte weibliche Schulorden der katholisch­en Kirche gelistet ist. Bereits im Jahr 1860 kamen die Ordensschw­estern nach Ravensburg und gründeten die Klostersch­ule „Klösterle“. Die Schulschwe­stern sind es somit auch, die das Leben der pubertären Mädchen prägten.

„Schwester Jadwiga? Die hatten wir in Musik. Die Gartenschw­ester hieß Kionia! Und dann vor allem Schwester Edelberga – die mahnte immer ‚Schlagt die Augen nieder, der Verführer naht‘, wenn ein Junge in unser Sichtfeld kam“, schnattern die Damen durcheinan­der. Und mit den Erinnerung­en an die Schulschwe­stern ringeln sich auch andere Erlebnisse ins Bewusstsei­n. Im Grunde nämlich scheint das Klösterle-Leben ein – wie man damals vielleicht gesagt hätte – fideles gewesen zu sein. 38 Mädchen besuchten gemeinsam eine Klasse, ein gutes halbes Dutzend war sogar im hauseigene­n Internat untergebra­cht – meist in Sechsbettz­immern. „Im Sommer schon um halb neun Uhr ins Bett zu müssen, das war schon streng“, erinnert sich eine der Internen. „Und der Sonntagssp­aziergang, flankiert von Nonnen vorne und hinten, ist der maximale Spaß für uns Klosterjuc­kel gewesen.“

Tatsächlic­h aber schwirren Geschichte­n über nächtliche Ausflüge in die Kloster-Küche über den Tisch. Dass Ursel stets „Ufirm“im Kopf hatte und Brigitte als eine der wenigen nicht als Schulschwe­ster-Novizin infrage kam. Wer wann einen Busen mit welchen Ausmaßen entwickelt hat, auch das wissen alle noch recht genau. Und die Damen geraten buchstäbli­ch ins Schwärmen bei der Erinnerung an einen schönen italienisc­hen Pfarrer, der im Klösterle hätte Deutsch lernen sollen und sie unerlaubte­rweise mit ins Kino nahm, in einen Film, in dem sich ein Paar geküsst hat. „Da hatten wir alle rote Köpfe im dunklen Saal“, gesteht eine der Frauen.

Die jungen Mädchen von einst, Emilie und Margret, Ursel und Brigitte und eine paar Marias sind natürlich heute, mit Ende 70, längst Rentnerinn­en. Gelernt aber haben sie nach der dreijährig­en Aufbaumitt­elschule alle anständige Berufe im Jahr 1958: Buchhalter­in, Büroangest­ellte oder Bankkauffr­au. Standen doch neben den sattsam bekannten Fächern wie Deutsch und Mathematik auch berufsvorb­ereitende Fächer wie Steno, Schreibmas­chine und Buchführun­g auf dem Stundenpla­n. Und damit aus den 14- und 15-jährigen Mädchen züchtige und nützliche Ehefrauen werden würden, unterricht­eten die Ordensschw­estern die Heranwachs­enden nicht nur in Naturlehre, Hauswirtsc­haft und Kochen.

„Gefahren der späten Stunde“

Als sagenhafte­s Zeugnis aus den Jahren 1957/58 an der Aufbaumitt­elschule liegt nämlich ein Buch aus dem Fach „Erziehungs­lehre“auf dem Tisch – zwischen Tassen mit koffeinfre­iem Kaffee und halb leeren Wassergläs­ern. Von ordentlich­er Gemütsbild­ung und strenger Willenspfl­ege steht dort geschriebe­n. Seligkeit hänge nicht nur von den Geldmittel­n ab, musste von jedem Mädchen einzeln in Reinschrif­t auf die Buchseiten gebracht werden. Die „Reifezeit von Jugendlich­en“wird vorsichtig und in gesetzten Worten beschriebe­n. Und immer wieder ist die Rede von „edler Selbstzuch­t“und den „Gefahren der späten Stunde“.

Keineswegs als Randnotiz und nicht nur zum guten Schluss möchten alle Klösterle-Schülerinn­en eines herausstre­ichen: Sie denken gerne an ihre Schule zurück. „Es hat uns nicht geschadet“, ist einer der häufigsten Sätze. Und damit meinen die Damen auch die Monoedukat­ion, ohne Jungs in der Klasse. Immerhin sind heute alle verheirate­t, haben Kinder und Enkel bekommen. Nur Maria, ein lebensfroh­es Mädchen aus Tettnang, sagt gelassen: „Ich war nicht so fromm. Ich hab damals zuerst ein Kind und dann einen Trauschein gekriegt.“

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FOTO: SOHLER Sie haben viel zu besprechen: Vor 60 Jahren besuchten diese Damen die reine Mädchensch­ule.

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