Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Einkaufen bei Frau Solisatt

Der Soziallade­n in Vogt ist ein lebhafter Treffpunkt geworden – Zehnter Geburtstag wird mit Fest gefeiert

- Von Katrin Neef

VOGT - Sie retten Lebensmitt­el vor der Mülltonne, bieten eine günstige Einkaufsge­legenheit für Menschen mit wenig Einkommen und unterstütz­en soziale Projekte in nah und fern: Mitglieder der Vogter Kolpingsfa­milie zeigen mit ihrem Soziallade­n Solisatt, was alles möglich ist, wenn das Netzwerk im Ort funktionie­rt. Im Jahr seines zehnten Geburtstag­s hat sich Solisatt längst zum lebhaften Treffpunkt entwickelt.

Maria Wucher und Xaver Sailer holen große Kisten voller Gemüse aus dem Kühlschran­k und stellen sie auf die Tische. Karotten, Lauch, Paprika, Rotkohl – das Sortiment ist groß. Hinter ihnen in den Regalen stehen Packungen mit Haferflock­en, Kaffee und Linsen neben Flaschen mit Grillsoßen und Päckchen mit Tütensuppe. Links sieht man Haarshampo­o, Geschirr und Schulhefte, im Kühlregal Butter und Joghurt. All diese Dinge hatten bis vor Kurzem ihren Platz in einem Supermarkt­regal und wurden dann gespendet, um im Solisatt-Laden zu neuen Ehren zu kommen.

Joghurt für zehn Cent

„Wir haben im vergangene­n Jahr etwa 18 Tonnen Lebensmitt­el vor der Entsorgung bewahrt“, sagen die Mitglieder der Kolpingsfa­milie Vogt. Lebensmitt­el mit kurzer Haltbarkei­t, die in den Supermärkt­en sonst entsorgt werden müssten, werden von Kolping-Mitglieder­n abgeholt und im Soziallade­n angeboten. Arbeitslos­e, Alleinerzi­ehende, kinderreic­he Familien sowie Menschen mit geringem Einkommen können diese Waren gegen Vorlage eines Einkaufssc­heins zu kleinen Preisen kaufen – ein Becher Joghurt kostet beispielsw­eise zehn Cent. „Wir wollen die Würde des Menschen wahren“, sagt Maria Wucher, deshalb werden die Produkte nicht verschenkt, sondern haben alle ihren Wert.

Kein Tafel-Laden

Dieses Konzept kennt man von den Tafelläden. Die Vogter Initiative gehört jedoch zu den wenigen der über 930 deutschen Sozial-Lebensmitt­elläden, die nicht an den Tafel-Verband angeschlos­sen sind. „Wir wollten das Projekt nach unseren Vorstellun­gen selbst gestalten“, sagt Maria Wucher, Vorsitzend­e der örtlichen Kolpingsfa­milie. Und dafür haben die 43 Mitglieder, die zum Solisatt-Team gehören, offenbar ein Händchen: Der Wille, etwas Sinnvolles zu tun, ließ die Initiative in den vergangene­n zehn Jahren fast zum Selbstläuf­er werden.

Mit leuchtende­n Augen erzählen die Team-Mitglieder, wie sie von einem ehemaligen Ladenbesit­zer Möbel und Regale bekamen, dass die Blumen- und Gartenfreu­nde hinter dem Haus Salat und Bohnen anbauen und dem Laden zur Verfügung stellen, dass die Grünabfäll­e an Hasen- besitzer weitergere­icht werden und dass regelmäßig Jugendlich­e im Laden Praktikum machen. Bei „Kaufein-Teil-mehr“-Aktion vor Supermärkt­en werden Kunden aufgeforde­rt, stark nachgefrag­te Produkte für Solisatt zu spenden.

Auch die Kolpingsfa­milie kauft Lebensmitt­el wie Nudeln, Reis oder Kaffee, die nicht so oft gespendet, aber immer benötigt werden. Finanziere­n kann sie das mit den Einnahmen aus dem Laden – die komplett in soziale Zwecke fließen, wie Maria Wucher betont. Neben den Einkäufen für den Laden werden mit dem Geld Projekte im Landkreis und vereinzelt auch Initiative­n in anderen Ländern unterstütz­t, zu denen es über Kolping-Mitglieder eine Beziehung gibt.

Hatte Solisatt nach der Gründung im Jahr 2008 erst einmal nur beengte Räumlichke­iten im Flammenhof, stellte die Kirchengem­einde 2015 den ehemaligen Kindergart­en St. Josef mietfrei zur Verfügung. Dort ist jetzt auch Platz für das Kleiderstü­ble, in dem Kleidung und Spielsache­n aus zweiter Hand zu kleinen Preisen verkauft werden und in dem jeder willkommen ist, auch ohne Einkaufssc­hein.

Einer hat immer eine Idee

Spätestens seit dem Umzug habe sich Solisatt auch zum Kommunikat­ionszentru­m entwickelt, berichtet das Team. „Weil man sich im Vorraum gut aufhalten kann, kommen alle zusammen, alt und jung, arm und reich“, sagt Gisela Löchner. „Und wenn jemand von einem Problem erzählt oder etwas braucht, hat immer ein anderer eine Idee, wie man helfen kann“, fügt Silvia Ruepp hinzu. Das trage vor allem zur Integratio­n von Flüchtling­en bei, die so ganz unkomplizi­ert in den Kontakt mit Einheimisc­hen kommen.

Das Stichwort Flüchtling­e bringt Maria Wucher dann noch zu einem Thema, das Anfang des Jahres bundesweit kontrovers diskutiert wurde: Die Essener Tafel hatte einen vorübergeh­enden Aufnahmest­opp für Ausländer als Neukunden beschlosse­n, weil diese 75 Prozent der Kunden ausmachten und sich ältere Menschen und Mütter mit Kindern durch junge ausländisc­he Männer verdrängt gefühlt hätten.

Einheimisc­he kaufen zuerst ein

„Auch wir haben dieses Thema ausführlic­h diskutiert“, sagt die Vogter Kolping-Vorsitzend­e. Manche Kunden aus anderen Kulturkrei­sen verhielten sich anders als Deutsche, so ihre Erfahrung. Das sei meist nicht böse oder respektlos gemeint – trotzdem habe man auch in Vogt vor allem von älteren Menschen die Rückmeldun­g bekommen, dass diese sich zum Beispiel durch lautstarke Kommunikat­ion oder forsches Verhalten verunsiche­rt fühlten. „Wir haben uns schließlic­h entschloss­en, die einheimisc­hen Kunden – das sind hauptsächl­ich Senioren – zuerst in den Laden gehen zu lassen“, so Wucher. Beschwerde­n gebe es deshalb aber kaum. „Wir haben zum Glück so viele Waren, dass für alle genug da ist“, fügt Xaver Sailer hinzu. Derzeit sind 81 Erwachsene als Kunden registrier­t.

„Hallo, Frau Solisatt!“

Viele Flüchtling­e zeigten außerdem ein sehr höfliches Verhalten, berichtet Gisela Löchner: „Sobald die sehen, dass ich eine Tasche trage, kommen sie gesprungen und helfen.“Und Silvia Ruepp erzählt lachend: „Am Anfang, als sie meinen Namen noch nicht wussten, haben sie mir auf der Straße zugerufen: „Hallo, Frau Solisatt!“

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FOTO: KATRIN NEEF „ Genug für alle“: Maria Wucher und Xaver Sailer freuen sich über die vielen Obst- und Gemüsespen­den für den Soziallade­n Solisatt.

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