Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Einkaufen bei Frau Solisatt
Der Sozialladen in Vogt ist ein lebhafter Treffpunkt geworden – Zehnter Geburtstag wird mit Fest gefeiert
VOGT - Sie retten Lebensmittel vor der Mülltonne, bieten eine günstige Einkaufsgelegenheit für Menschen mit wenig Einkommen und unterstützen soziale Projekte in nah und fern: Mitglieder der Vogter Kolpingsfamilie zeigen mit ihrem Sozialladen Solisatt, was alles möglich ist, wenn das Netzwerk im Ort funktioniert. Im Jahr seines zehnten Geburtstags hat sich Solisatt längst zum lebhaften Treffpunkt entwickelt.
Maria Wucher und Xaver Sailer holen große Kisten voller Gemüse aus dem Kühlschrank und stellen sie auf die Tische. Karotten, Lauch, Paprika, Rotkohl – das Sortiment ist groß. Hinter ihnen in den Regalen stehen Packungen mit Haferflocken, Kaffee und Linsen neben Flaschen mit Grillsoßen und Päckchen mit Tütensuppe. Links sieht man Haarshampoo, Geschirr und Schulhefte, im Kühlregal Butter und Joghurt. All diese Dinge hatten bis vor Kurzem ihren Platz in einem Supermarktregal und wurden dann gespendet, um im Solisatt-Laden zu neuen Ehren zu kommen.
Joghurt für zehn Cent
„Wir haben im vergangenen Jahr etwa 18 Tonnen Lebensmittel vor der Entsorgung bewahrt“, sagen die Mitglieder der Kolpingsfamilie Vogt. Lebensmittel mit kurzer Haltbarkeit, die in den Supermärkten sonst entsorgt werden müssten, werden von Kolping-Mitgliedern abgeholt und im Sozialladen angeboten. Arbeitslose, Alleinerziehende, kinderreiche Familien sowie Menschen mit geringem Einkommen können diese Waren gegen Vorlage eines Einkaufsscheins zu kleinen Preisen kaufen – ein Becher Joghurt kostet beispielsweise zehn Cent. „Wir wollen die Würde des Menschen wahren“, sagt Maria Wucher, deshalb werden die Produkte nicht verschenkt, sondern haben alle ihren Wert.
Kein Tafel-Laden
Dieses Konzept kennt man von den Tafelläden. Die Vogter Initiative gehört jedoch zu den wenigen der über 930 deutschen Sozial-Lebensmittelläden, die nicht an den Tafel-Verband angeschlossen sind. „Wir wollten das Projekt nach unseren Vorstellungen selbst gestalten“, sagt Maria Wucher, Vorsitzende der örtlichen Kolpingsfamilie. Und dafür haben die 43 Mitglieder, die zum Solisatt-Team gehören, offenbar ein Händchen: Der Wille, etwas Sinnvolles zu tun, ließ die Initiative in den vergangenen zehn Jahren fast zum Selbstläufer werden.
Mit leuchtenden Augen erzählen die Team-Mitglieder, wie sie von einem ehemaligen Ladenbesitzer Möbel und Regale bekamen, dass die Blumen- und Gartenfreunde hinter dem Haus Salat und Bohnen anbauen und dem Laden zur Verfügung stellen, dass die Grünabfälle an Hasen- besitzer weitergereicht werden und dass regelmäßig Jugendliche im Laden Praktikum machen. Bei „Kaufein-Teil-mehr“-Aktion vor Supermärkten werden Kunden aufgefordert, stark nachgefragte Produkte für Solisatt zu spenden.
Auch die Kolpingsfamilie kauft Lebensmittel wie Nudeln, Reis oder Kaffee, die nicht so oft gespendet, aber immer benötigt werden. Finanzieren kann sie das mit den Einnahmen aus dem Laden – die komplett in soziale Zwecke fließen, wie Maria Wucher betont. Neben den Einkäufen für den Laden werden mit dem Geld Projekte im Landkreis und vereinzelt auch Initiativen in anderen Ländern unterstützt, zu denen es über Kolping-Mitglieder eine Beziehung gibt.
Hatte Solisatt nach der Gründung im Jahr 2008 erst einmal nur beengte Räumlichkeiten im Flammenhof, stellte die Kirchengemeinde 2015 den ehemaligen Kindergarten St. Josef mietfrei zur Verfügung. Dort ist jetzt auch Platz für das Kleiderstüble, in dem Kleidung und Spielsachen aus zweiter Hand zu kleinen Preisen verkauft werden und in dem jeder willkommen ist, auch ohne Einkaufsschein.
Einer hat immer eine Idee
Spätestens seit dem Umzug habe sich Solisatt auch zum Kommunikationszentrum entwickelt, berichtet das Team. „Weil man sich im Vorraum gut aufhalten kann, kommen alle zusammen, alt und jung, arm und reich“, sagt Gisela Löchner. „Und wenn jemand von einem Problem erzählt oder etwas braucht, hat immer ein anderer eine Idee, wie man helfen kann“, fügt Silvia Ruepp hinzu. Das trage vor allem zur Integration von Flüchtlingen bei, die so ganz unkompliziert in den Kontakt mit Einheimischen kommen.
Das Stichwort Flüchtlinge bringt Maria Wucher dann noch zu einem Thema, das Anfang des Jahres bundesweit kontrovers diskutiert wurde: Die Essener Tafel hatte einen vorübergehenden Aufnahmestopp für Ausländer als Neukunden beschlossen, weil diese 75 Prozent der Kunden ausmachten und sich ältere Menschen und Mütter mit Kindern durch junge ausländische Männer verdrängt gefühlt hätten.
Einheimische kaufen zuerst ein
„Auch wir haben dieses Thema ausführlich diskutiert“, sagt die Vogter Kolping-Vorsitzende. Manche Kunden aus anderen Kulturkreisen verhielten sich anders als Deutsche, so ihre Erfahrung. Das sei meist nicht böse oder respektlos gemeint – trotzdem habe man auch in Vogt vor allem von älteren Menschen die Rückmeldung bekommen, dass diese sich zum Beispiel durch lautstarke Kommunikation oder forsches Verhalten verunsichert fühlten. „Wir haben uns schließlich entschlossen, die einheimischen Kunden – das sind hauptsächlich Senioren – zuerst in den Laden gehen zu lassen“, so Wucher. Beschwerden gebe es deshalb aber kaum. „Wir haben zum Glück so viele Waren, dass für alle genug da ist“, fügt Xaver Sailer hinzu. Derzeit sind 81 Erwachsene als Kunden registriert.
„Hallo, Frau Solisatt!“
Viele Flüchtlinge zeigten außerdem ein sehr höfliches Verhalten, berichtet Gisela Löchner: „Sobald die sehen, dass ich eine Tasche trage, kommen sie gesprungen und helfen.“Und Silvia Ruepp erzählt lachend: „Am Anfang, als sie meinen Namen noch nicht wussten, haben sie mir auf der Straße zugerufen: „Hallo, Frau Solisatt!“