Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Liebste Verkäuferinnen
Die liebste Verkäuferin der Welt war für mich früher jene aus einer Südstadt-Metzgerei. Und zwar deshalb, weil sie eines Tages damit aufhörte, mir ein Wursträdlein über die Theke zu reichen, wenn ich von meiner Mutter zum Einkaufen geschickt worden war. Sie lächelte mich weiterhin an, sagte aber nun, während sie 100 Gramm Lyoner, eine Vesperscheibe Bierwurst und vielleicht eine saure Gurke einpackte, dass ihr meine etwas längeren Haare gut gefallen, und fragte mich, ob auch mir die Stones lieber seien als die Beatles. Das musste ich verneinen, doch führten wir in den folgenden Jahren intensive Gespräche über musikalische Vorlieben an der Wursttheke.
Später beeindruckte mich die Chefin des Fachgeschäftes für Schallplatten mit ihrem Fachwissen über die vielfältige Beat-, Rock- und Jazzrockszene der 1970er-Jahre und ihrem Anliegen, jugendlichen Konsumenten auch gutes Benehmen beizubringen. Weil sie mir am frühen Samstagmorgen kostenlos süße Stückle vom Vortag in die Tüte warmer Brezeln und Seelen schob, mochte ich auch die Bäckersfrau gerne, und die Verkäuferin im kleinen Lebensmittelladen in der Südstadt schätzte ich, weil sie mir eine Tüte voller nach Himbeeren duftender Bonbons mitgab, obwohl ich bloß vier Stangen Rhabarber und einen Kopfsalat hatte besorgen müssen.
Heute mag ich meine Buchhändlerin am liebsten. Sie lächelt, wenn ich komme, weiß, welche Autoren ich ertrage, verrät mir unter vier Augen Geheimes aus der Literaturszene, spricht auch über Außerliterarisches, fragt nebenbei nach meinem Befinden. Ob der neue Martin Walser peinlich sei, fragte ich sie. Dazu sei das Leben zu kurz, zwinkerte sie mir zu, als ich ihr ein Windrädlein rüberschob zum Dank für guten Rat.