Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Für ein besseres Miteinander
Frank Turner setzt auf seinem neuen Album auf Mitgefühl und Vergebung
HAMBURG (dpa) - Egozentrisch, Social-Media-süchtig und zu bequem, sich andere Meinungen anzuhören: Das Menschenbild, das Frank Turner zeichnet, ist nicht sehr schmeichelhaft. Doch die 13 Songs auf dem siebten Studioalbum „Be More Kind“des 36-jährigen Briten beschreiben ziemlich exakt, woran unsere Gesellschaft gerade krankt.
„Wir scheinen vergessen zu haben, wie man anständig miteinander kommuniziert“, erklärt Turner, bekannt für seinen Folk-Punk-RockMix, sein zentrales Anliegen im Gespräch mit der Deutschen PresseAgentur. Smartphones und das Internet spielten dabei eine große Rolle. Er tourte mit seiner Band, den Sleeping Souls, 2016 durch die USA, als „die Welt beschloss, durchzudrehen“– was letztlich den Anstoß dazu gab, ein Album über Nächstenliebe zu schreiben.
Es dreht sich jedoch nicht allein um die Veränderungen in Amerika: Was dort passiere, seien eher Symptome als Ursachen. „Wie sind dabei, unsere Gegner zu entmenschlichen – insbesondere in politischen Auseinandersetzungen.“Dass dies schreckliche Folgen haben kann, wisse jeder noch so amateurhafte Historiker. Deswegen warnt Turner in dem drängenden „1933“zu schrammelnden Gitarren und Mundharmonika vor sich wiederholenden politischen Ideen („I’d Be Screaming at My Grandkids / We Already Did This“) und einer HauDrauf-Mentalität („You Can’t Fix The World / If All You Have Is A Hammer“).
Immer wieder scheint Kritik an Selbstbezogenheit und kollektiver Isolation durch. Damit meint Turner auch sich selbst: „Ich fühle mich moralisch keinesfalls überlegen – auch ich könnte bedachter sein“, gibt er zu. Etwa, wenn er Hass-Mails bekommt. Über die Jahre habe er gelernt, dass eine freundliche, am Dialog interessierte Antwort den Konflikt am ehesten löst. „Mit einem Typen diskutierte ich in mehreren E-Mails über Politik. Am Ende trafen wir uns und tranken ein Bier zusammen. Es ist doch vollkommen okay, nicht mit jedem immer und bei allem gleicher Meinung zu sein.“
Berührende Zeilen
Die Konsequenz daraus – anderen mit mehr Wohlwollen und Verständnis zu begegnen – machte Turner zum Titelthema des Albums. „Das beschäftigt viele Menschen, die unendlich viel weiser und intelligenter sind als ich“, erklärt er. So auch den Autor Clive James, der in seinem Gedicht „Leçons Des Ténèbres“schreibt: „I Should Have Been More Kind / It Is My Fate / To Find This Out / But Find It Out Too Late“. Diese Zeile habe Turner sehr berührt. Viel zu oft werde vergessen, worauf es am Ende des Lebens ankommt: nämlich darauf, wie du deine Mitmenschen behandelt hast.
Für „Be More Kind“nahm sich der Musiker mit sieben Monaten wesentlich mehr Zeit als für seine vorigen Alben. Mit Austin Jenkins und Joshua Bock und Charlie Hugall tüftelte Turner in Texas an neuen Sounds. Er arbeitete viel mit Arpeggiator-Synthesizern und Loops („Es hat ewig gedauert, den Beat für ,Make America Great Again’ richtig hinzubekommen!“), baute aber auch Soul-Elemente ein. Politisches mischt sich dabei mit Privatem.
Der persönlichste Song ist das Liebeslied „There She Is“, das er für seine Freundin eines Morgens im Urlaub textete. „Auf meinen letzten beiden Alben gab es viele traurige Lieder über gescheiterte Beziehungen. Es ist schön, endlich mal ein fröhliches Liebeslied schreiben zu können“, sagt Turner und lacht.
Wie es weitergeht? Der Brite hat bereits seine nächsten Lyrics in der Schublade – für ein Konzeptalbum über historische Frauenfiguren. Eigentlich hätte das sein siebtes Album werden sollen, doch dann kam die US-Wahl dazwischen. Aber: „Spätestens in zwei Jahren kann ich mehr dazu erzählen“, verspricht Turner.
Live: 24.10. Stuttgart, LKA-Longhorn; 20.11. München, Tonhalle.