Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein eigenwilliger Kopf
Aalener Pfarrer spendet Segen mit Kopftuch und provoziert damit vor allem im AfD-Lager
ULM - Heftige Reaktionen hat die Kopftuch-Demonstration des Aalener Pfarrers Wolfgang Sedlmeier hervorgerufen: Der katholische Geistliche sei „verblödet“, schrieb Alice Weidel, die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag auf Facebook. Beatrix von Storch, stellvertretende Fraktionschefin, twitterte: „Kirchen mit solchen ,Pfarrern‘ dürfen gerne untergehen. Die Erdogans dieser Welt lachen sich kaputt.“
Am Ende des Pfingstgottesdienstes am vergangenen Sonntag in der Aalener Marienkirche hatte Sedlmeier sich ein Kopftuch aufgesetzt, nachdem er in seiner Predigt bereits auf Weidels Äußerungen zu angeblichen „Kopftuchmädchen“eingegangen war: Wer Menschen wegen ihrer aus Glaubensgründen gewählten Kopfbedeckung diskriminiere, verstoße gegen die Menschenwürde und damit gegen den Geist des Pfingstevangeliums, sagte Sedlmeier unter Beifall. Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst distanzierte sich am Dienstag von Sedlmeier: Die Form sei „sicher grenzwertig und nicht sehr glücklich gewählt“.
Dass Pfingstpredigten und Meinungsäußerungen einzelner Pfarrer mehrere tausend Kommentare im Internet hervorrufen, ist mehr als ungewöhnlich. Der Aalener Pfarrer Wolfgang Sedlmeier ahnt sicher nicht, wie sehr er provozieren wird, als er sich in der vergangenen Woche auf seine Pfingstpredigt vorbereitet. Gleichzeitig greift die AfD-Politikerin Alice Weidel die Einwanderungsund Asylpolitik der Bundesregierung an und sagt im Bundestag: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) rügt, sie diskriminiere damit alle Frauen, die ein Kopftuch trügen. „Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.“
Offensichtlich regt Sedlmeier sich über Weidels Äußerungen auf: Da der Pfarrer seit Pfingsten im Urlaub weilt und nicht erreichbar ist, lässt sich über seine Motive, der AfD-Frau die Leviten zu lesen, nichts sagen. Doch Sedlmeier, der aus dem Allgäu stammt und in Weingarten sein Abitur abgelegt hat, später als Auslandspfarrer in Paris und Tunis tätig war und seit dem Frühjahr 2017 als Leitender Pfarrer in Aalen wirkt, ist kirchenintern bekannt als eigenwilliger Kopf – manche sagen auch: Rebell. „Die Aktion passt zu ihm“, erinnern sich ehemalige Schulkameraden, „er hatte immer seinen eigenen Kopf.“Diesen hat Sedlmeier offensichtlich bewahrt. Ein Beispiel: Direkt nach seinem Amtsantritt sollte die Augustinuskirche in Aalen nach dem Willen der Diözese abgerissen werden. Aber Sedlmeier antwortete dem Bischof: „So lange ich in Aalen bin, wird hier keine Kirche abgerissen.“Der heute 60-Jährige startete Spendenaktionen zum Erhalt des Gotteshauses. Die Kirche steht bis heute – unangetastet.
Wider den Geist des Evangeliums
Im Pfingstgottesdienst spricht Sedlmeier, ohne den Namen Weidels zu nennen, von einer gewählten Frau und prangert Verstöße gegen die Menschenwürde an: Dies widerspräche dem Geist des Evangeliums. Ob die jüdische Kippa, der auf dem Balkan weit verbreitete Fes oder ein Kopftuch: „Die Menschenwürde gilt allen“, sagt Sedlmeier, wie Gottesdienstbesucher berichten. Zum Abschluss, vor dem Schlusssegen, wiederholt er seine Kernaussagen und wickelt sich dann das zuvor bereitgelegte Kopftuch um den Kopf. Die etwa 200 Gottesdienstbesucher spenden Beifall, einzelne gratulieren dem Pfarrer anschließend zu „Mut und Courage“. Mit dem Kopftuch auf dem Kopf verabschiedet Sedlmeier dann – wie an jedem Sonntag nach der Messe – alle Gläubigen persönlich. Abends, nach der Pfingstvesper, kommt Sedlmeier zur Schola und fragt nach Reaktionen. Er bekräftigt, er stehe zu seinen Aussagen.
Im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart stößt die Aktion des Aalener Pfarrers auf sehr verhaltene Reaktionen. „Die Form, in der Pfarrer Sedlmeier während der Pfingstmesse in der Aalener Marienkirche seinen Protest gegen die Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen durch die Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht hat, ist sicher grenzwertig und nicht sehr glücklich gewählt“, geht Bischof Gebhard Fürst auf Distanz. Er werde deshalb in den nächsten Tagen ein klärendes Gespräch mit Sedlmeier führen, aber keine Disziplinarmaßnahme einleiten. Fürst stellt heraus, dass er seinem Pfarrer inhaltlich Rückendeckung gibt: „Dessen ungeachtet stehe ich inhaltlich voll und ganz hinter der Rüge, die Bundestagspräsident Schäuble Frau Weidel für ihre Äußerungen im Parlament erteilt hat.“
Im Netz erhebt sich bei AfD-Anhängern ein Proteststurm, nachdem die „Schwäbische Zeitung“berichtet. Fast 9000 Reaktionen – darunter etwa 3400 Kommentare als ein wichtiger Indikator, wie sehr Nutzer ein Thema bewegt – sind bis zum Dienstagnachmittag beim Facebook-Auftritt von Alice Weidel eingegangen. Viele User beleidigen Sedlmeier persönlich.