Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Blick in verquere Gedankenwelten
Der Tübinger Professor Michael Butter geht den Ursachen und der Wirkung von Verschwörungstheorien nach
Flüchtlinge sind Teil eines großangelegten „Umvolkungs“Plans, Kondensstreifen sind in Wahrheit Chemtrails, mit denen die Menschen vergiftet oder kontrolliert werden sollen, und die Illuminaten steuern den Lauf der Geschichte: Verschwörungstheorien sind in Zeiten globaler Vernetzung durch das Internet scheinbar allgegenwärtig. Michael Butter, der amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen lehrt, ist Leiter eines Forschungsprojekts der EU, das seit Frühjahr 2016 wissenschaftliche Arbeiten über Verschwörungstheorien bündelt. In seinem Buch „Nichts ist, wie es scheint: Über Verschwörungstheorien“geht er einem Phänomen nach, das zunächst skurril erscheint – aber große Gefahren für die Demokratie mit sich bringt.
Das Fazit ist düster: Wenn Gesellschaften sich nicht mehr darauf verständigen könnten, was wahr ist, resümiert Butter, können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts nicht meistern. Die größte Gefahr von Verschwörungstheorien sieht der Kulturwissenschaftler darin, dass sie durch die Zersplitterung der Öffentlichkeit über das Internet eine gewaltige Wirkung entfalten. Expertenwissen und wissenschaftliche sowie journalistische Arbeit werden entwertet, weil im Internet seriöse Informationsquellen und obskure Blogs gleichermaßen publizieren können. Die Filterblase sorgt dafür, dass sich schon bestehende Meinungen verfestigen – der Algorithmus liefert mehr von dem, was wir ohnehin schon wissen und wollen. Auch, wie sich Verschwörungstheorien von Fake News unterscheiden, zeigt Butter auf.
Zahlreiche konkrete Beispiele
Der gefragte Experte geht der Frage nach, warum sich Verschwörungstheorien heute so großer Beliebtheit erfreuen – und macht auch deutlich, dass es Zeiten gab, in denen sie noch viel mehr Zuspruch bekamen und tatsächlich „Mainstream“waren, während sie heute durchaus stigmatisiert sind. Der Autor beleuchtet auch, wer besonders anfällig für derlei gedankliche Konstrukte ist. Dabei macht er auch klar, wie schwierig es ist, sich mit ihren Anhängern auseinanderzusetzen. Das Buch hat zwar wissenschaftlichen Anspruch, ist aber verständlich und unterhaltsam geschrieben. Das liegt auch an den konkreten Beispielen, durch die der Leser wichtige Akteure dieser „Szene“kennenlernt, den US-Amerikaner Alex Jones etwa. Dieser verdient mit seinem Kanal „Infowars“sehr viel Geld – indem er den Zusammenbruch der Zivilisation beschwört und im eigenen Onlineshop Ausrüstung für die Apokalypse verkauft.
Klar wird dabei auch, wann Verschwörungstheorien besonders problematisch sind – dann nämlich, wenn sie sich gegen Minderheiten richten, wie etwa die vom „Bevölkerungsaustausch“durch nach Deutschland kommende Flüchtlinge, den die Ex-Tageschau-Moderatorin Eva Herman für eine Tatsache hält.
Michael Butter: Nichts ist, wie es scheint: Über Verschwörungstheorien, Edition Suhrkamp,
271 Seiten, 18 Euro.
Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart veranstaltet im Tagungshaus Weingarten am Freitag, 15. Juni, um 19.30 Uhr eine öffentliche Diskussion zum Thema Verschwörungstheorien. Auf dem Podium wird dabei auch Autor Michael Butter sitzen.