Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Bücher wird es immer geben“
Nach fast 32 Jahren: Stadtbücherei-Leiterin Berthilde Scherer geht in den Ruhestand
RAVENSBURG - Nach fast 32 Jahren gibt Berthilde Scherer die Leitung der Ravensburger Stadtbücherei ab. Sie hat in dieser Einrichtung sehr viel bewegt. Ein Abschlussporträt.
1986 war alles anders: Als Berthilde Scherer Chefin der Ravensburger Stadtbücherei wurde, befand sich diese noch nicht im Kornhaus, sondern in der Bauhütte am Holzmarkt. Die Bibliothek machte über Mittag zu, samstags war geschlossen, Veranstaltungen gab es keine. „Wir haben halt Bücher ausgeliehen, und das war’s“, sagt Scherer und lacht.
Beinah 32 Jahre lang stand Scherer, Jahrgang 1952, an der Spitze der Ravensburger Stadtbücherei. Die Bibliothek, die mehrfach Bestnoten bei nationalen Vergleichen erhielt und nicht zuletzt für ihr Ambiente und die Aufenthaltsqualität geschätzt wird, hat sich in dieser Zeit völlig verändert. Manche Dinge verursachten der technische Fortschritt und die Veränderungen im Medienbereich. Doch einen maßgeblichen Anteil an den Verbesserungen der Angebote hatte auch Berthilde Scherer. „Hätte ich nicht immer neue Projekte gehabt, wäre mir irgendwann langweilig geworden“, sagt sie.
Was sich seit 1986 in der Stadtbücherei getan hat, lässt sich nicht in wenigen Zeilen zusammenfassen. Ein paar Schlagworte: Umzug ins Kornhaus 1984, Erweiterung um Videos, Kassetten, CDs 1986-1997, Umbau der Kornhauspassge zum Zeitschriftenbereich 1992, erster öffentlicher Internetplatz in Ravensburg 1996, Gratisnutzung von Datenbeanken 2002, Internetseite für Kinder 2003, erstes öffentliches WLAN in Ravensburg 2012, Einführung der Selbstverbuchung 2014, Verleihen von E-Books 2013, Gratis-Musikstreaming 2017. Und daneben: jede Menge Reihen, Veranstaltungen, gerade auch für Kinder.
In ihrer Amtszeit hat Berthilde Scherer die Zahl der Entleihvorgänge in der Ravensburger Stadtbücherei mehr als verdoppelt – und das, obwohl alle sagen, dass kein Mensch mehr liest: „Bücher wird es immer geben“, sagt die scheidende Leiterin, die aus Schwenningen im Landkreis Sigmaringen stammt. „Das Buch ist ein Produkt, von dem ich überzeugt bin. Es wird immer wieder eine Renaissance erleben.“Auch wenn die Amtzellerin der Meinung ist, das jedes Jahr viel zu viele Bücher auf den Markt kommen: „Die Leute verlieren den Überblick.“Daher seien Tipps und Leseempfehlungen immer wichtiger.
Berthilde Scherer stammt aus einer Großfamilie mit sechs Geschwistern, ihre Herkunft beschreibt sie als „ländlich, aber nicht provinziell“. Ihr Vater war Bildhauer, der Mutter war es wichtig, dass auch die vier Mädchen eine anständige Ausbildung erhalten. Mit zwölf Jahren kam Scherer ins Internat nach Rottweil, nach dem Abitur wurde sie in Stuttgart zur Diplom-Bibliothekarin ausgebildet. In einer Jazzkneipe in der Landeshauptstadt lernte sie ihren späteren Mann kennen, einen Wangener, der sich später in Ravensburg selbstständig machte und daher Berthilde Scherer zugriff, als sich die Chance ergab, 1977 zunächst stellvertretende Bibliotheksleiterin in der Türmestadt zu werden. Seit fünf Jahren ist sie verwitwet.
Hausfrau sein, war nicht ihr Ding
Eins wusste Berthilde Scherer schon früh: Der Job als Hausfrau wäre nicht ihrer. Ihre Mutterrolle, sagt sie, hat sie in der Stadtbücherei ausgelebt. In der Leitung eines „tollen, familiären Teams“, für das sie seit Beginn 26 Elternzeiten organisierte.
Jetzt will die Bald-Rentnerin erst einmal durchatmen. Sich neu orientieren, schauen, was ihr Spaß macht, Yoga, Singen, Reisen. Ravensburg wird sie nicht aus dem Blick verlieren. Die Veranstaltungen der Stadtbücherei will sie weiter besuchen. Und das Konzerthaus: Die Stadt schenkte ihr zum Abschied ein Theater-Abo.