Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Deutschland steht nicht am EU-Pranger“
Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner über Überdüngung und Lebensmittelverschwendung
BERLIN - Die Landwirtschaft trage für die Ressource Wasser auch Verantwortung, sagt Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Gespräch mit Tobias Schmidt.
Am Samstag geht das G20-Landwirtschaftsministertreffen zu Ende. Top-Thema sind gesunde Böden zur nachhaltigen Produktion. Welche Fortschritte erwarten Sie hierzu in Buenos Aires?
Die Agrarminister der G20 beschäftigen sich mit den Themen, die elementar für die Menschen sind: Vergangenes Jahr stand unter deutscher Präsidentschaft Wasser auf der Agenda, dieses Jahr beschäftigen wir uns mit den Böden. Da geht es vor allem darum, dass die wichtigen Nährstoffe nicht verloren gehen. Im vergangenen Jahr gab es schon konkrete Verabredungen und ein klares Bekenntnis: Die Landwirtschaft trägt für die Ressource Wasser auch Verantwortung. Ich erwarte, dass wir in diesem Jahr daran anknüpfen und dafür sorgen, dass unsere Böden gesund bleiben. Damit unser Boden auch noch die Generationen nach uns trägt und ernährt.
Bei gesunden Böden ist Deutschland kein Vorreiter, steht wegen Überdüngung und zu hoher Nitratwerte im Wasser am EU-Pranger. Wann werden Sie die Düngemittelverordnung nachbessern, um auf die Klagen von EU und Deutscher Umwelthilfe zu reagieren?
Deutschland steht nicht am EU-Pranger! Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat sich auf eine alte Verordnung bezogen, die so nicht mehr gültig ist. Wir haben im vergangenen Jahr das Düngerecht erneuert. Die neue Düngeverordnung regelt, wie richtig gedüngt werden soll und wie Risiken verringert werden können. Es gibt auch schon erste Erfolge: Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ist viel weniger Mineralstickstoffdünger verkauft worden.
In Buenos Aires geht es auch um die Chancen, die die Digitalisierung für die Landwirtschaft bietet. Welche Potenziale sehen Sie für Deutschlands Bauern? Sind sie gut aufgestellt oder fallen sie im G20-Vergleich weit zurück?
Die Leistung der deutschen Bauern kann sich international sehen lassen – auch bei der Digitalisierung. Moderne Ställe sind heute zum Teil technologische Hochleistungszentren – da sind unsere Bauern Vorreiter. Roboter füttern die Tiere und Sensoren überwachen den Stall. Mit satellitengesteuerter Präzisionslandwirtschaft kommen Dünge- und Pflanzenschutzmittel zentimetergenau dort an, wo sie gebraucht werden. Wir müssen aber auch im Austausch mit anderen Ländern bleiben. In Argentinien werde ich mir daher einen Feldroboter und Drohnen anschauen, die mit Sensoren den genauen Zustand der Pflanzen erkennen: Wie reif sie sind, ob sie unter Hitzestress leiden oder von Schädlingen befallen sind. Da steckt unheimlich viel Potenzial drin, wenn es darum geht, Kosten zu sparen, Ressourcen zu schonen oder auch das Tierwohl zu steigern. Das können und müssen wir weiter ausbauen.
Die G20 stehen für 80 Prozent des Handels mit Grundnahrungsmitteln – und damit auch für eine gewaltige Verschwendung an Lebensmitteln. Trotzdem geht jeder neunte Mensch auf dem Globus hungrig ins Bett. Wie kann hier gegengesteuert werden?
Da befinden wir uns tatsächlich in einem krassen Spannungsfeld. Wir werfen in Deutschland kiloweise gute Lebensmittel weg. Das müssen wir eindämmen. Mein Ziel ist deshalb, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren, so wie es auch die Vereinten Nationen fordern. Gleichzeitig werde ich in meinem Ministerium einen Schwerpunkt auf die „Politik gegen Hunger“setzen. Ein modernes deutsches Landwirtschaftsministerium muss auch Verantwortung über die eigenen Grenzen hinaus übernehmen. Da geht es konkret darum zu verhindern, dass die Menschen flüchten müssen, weil sie Hunger leiden.