Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die große Sause
Vom Ausnahmezustand bei der Familie der diesjährigen Adler-Schützenkönigin erzählt deren Mutter Corinna Stoll
Was passiert, wenn die Tochter das Adlerschießen gewinnt.
RAVENSBURG - Seit Rutendienstag, 15.45 Uhr, hat Ravensburg eine neue Schützenkönigin. Die 18-jährige Katharina Stoll hat als Schützin der Riege sechs mit der Armbrust das Wappen aus der Kralle des grauen Adlers geholt. Was dann folgt, ist sattsam bekannt: Jubel, Fotos, Interviews. Was aber heißt das Schützenköniginnen-Dasein für die Familie? Wer organisiert das obligatorische Fest? Durchleidet Mutter einen Alptraum oder Glückstaumel? Was danach im Hause Stoll so alles losgewesen ist, das erzählt Mama Corinna Stoll.
Rutendienstag, 15.50 Uhr: Corinna Stoll sortiert mit der jüngeren Tochter im Kinderzimmer die Schulsachen aus, als der Anruf kommt. „Hast du heut ein Auto da?“, habe Katharina lapidar gefragt und nachgeschoben: „Ich hab nämlich ein Fahrrad gewonnen“. Dass sie Rutenschützenkönigin geworden ist, das fällt im Telefonat mit Katharina erst ein oder zwei Sätze später. „Aber das ist Kathis Art, sie ist sehr gechillt“, sagt Mama Corinna und lacht immer wieder. Ob sie sich auch wirklich nicht verhört habe, will Vater Jürgen Stoll von seiner Frau wissen, als die ihn umgehend beim Arbeiten anruft. Und zur Sicherheit verifiziert er den Status seiner Tochter auf schwäbische.de. Tatsächlich: Dort steht, Katharina Stoll ist Rutenschützenkönigin. Und dann fahren sie erst einmal los, auf den Blauen Platz.
Von Rutenfestkom missionsvorstand Schützenkönigin Katharina Stoll über ihre Mutter, die alle Hebel in Bewegung setzte, um für ihre Tochter, der Siegerin des Adlerschießens, ein großes Fest zu organisieren.
Dieter Graf, der auf dem Festgelände grade in ein Mikrofon spricht, will Stoll wissen, wie das gehandhabt wird, was nun ihre Pflichten sind. Ein großes Fest muss steigen – so viel ist klar. Aber ist nicht im Gespräch, dass die Rutenfestkommission dafür aufkomme? Stoll spricht Graf direkt an, nimmt seine herzlichen Glückwünsche zum Amt der Schützenkönigin-Mutter entgegen – und die Absage an jedweder Beteiligung. „Nur bei den Realschülern und Hauptschülern wird das übernommen“, gibt Corinna Stoll wieder, was Graf ihr beschieden hat. „Herr Graf hat es auch erklärt. Aber ich hab es einfach vergessen“, gesteht sie.
Dafür springt bei Corinna Stoll der Organisationsmodus an: Sie schreibt Postwurfzettel für die Nachbarn, fragt, wer Biergarnituren und Sonnenschirme bringen kann, bittet um Salat- und Kuchenspenden. Sie weiß, alleine kann sie das auf die Schnelle, binnen drei Tagen, nicht wuppen: Ein Fest für 100 Menschen ausrichten. Sie lädt Ravensburgs Oberbürgermeister und den Baienfurter Bürgermeister ein, telefoniert mit der Presse, mit zig Getränkelieferanten, Metzgereien. Ihre To-Do-Liste umfasst drei Seiten. Ihr Budget: 1000 Euro.
Händeringend sucht die 48-Jährige nach Rutenfestfahnen, googelt nach blau-weißen Wimpeln. Die haben zwei bis drei Tage Lieferzeit. Zu lang. Ein Kühlwagen ist so kurzfristig auch nicht mehr aufzutreiben, aber für dieses Problem findet sie schnell eine praktische Lösung. Sie füllt Gefrierbeutel mit Wasser und legt sie in die Kühltruhe. Ein Nachbar bietet seinen VW-Bus an, damit auch größere Ladungen wie Geschirr und Besteck oder die frisch geplotteten Deko-Poster von Katharina geholt werden können. Denn für Corinna Stoll steht fest: Wir feiern Zuhause. Im Carport und auf der Straße vor dem Haus. 30-er Zone sei Dank geht das sogar, im friedlichen Baugebiet am östlichen Rand von Baienfurt. Das ist bereits von vielen Nachbarschaftsfesten erprobt.
Während ihre Tochter Kati, 18jährige Schülerin des Technischen Gymnasiums und frisch gebackene Schützenkönigin, feiern geht oder ihren offiziellen Verpflichtungen auf dem Trommlerball nachkommt, kann Corinna die erste Nacht kaum schlafen. „373 Jahre gibt es jetzt das Rutenfest“, wiederholt sie, was sie sich noch einmal angelesen hat „und unsere Tochter ist nun Teil der Stadtgeschichte“– diese Erkenntnis mache sie stolz und überglücklich. Katharinas 89-jähriger Opa hat noch in der Jubelnacht verkündet, er werde einen Schrein bauen. Aus Glas und Eichenholz. Damit das Eichenblatt und das erlegte Stadtwappen einen würdigen Platz im Hause Stoll kriegen. Und trotz der schlaflosen Nacht krempelt Corinna Stoll die Ärmel hoch. „Ich will, dass das Fest einfach schön wird!“Dann ordert sie 16 Kilogramm Leberkäse, genau so viel Kartoffelsalat, bestellt Tischdecken und Servietten. Ein Fotograf muss her.
Freitag, Schützenkönigin-Fest, 18 Uhr: Die Landsknechte und mit ihnen Katharinas männliches Pendant, Linus Schmitz, der Schützenköng 2018, spielen auf. Kurz danach rückt das Trommlerkorps der Gymnasien an. Menschen tummeln sich an einem Dutzend Biertischen, es wird Sekt gereicht, quer vor der Thujahecke hängen Poster von Kati. Über eine Lautsprecheranlage macht Corinna Stoll die Ansage, das Büffet sei eröffnet. Die Sonne glitzert auf ihren blau-weiß lackierten Fingernägeln und lässt ihre Augen strahlen. Von Müdigkeit keine Spur. „Das kriegen wir hin“, hatte die SchützenköniginMutter versprochen. Und so ist es. „Meine Mama hat das echt alles super gemacht“, lobt Katharina, die Schützenkönigin 2018.
„Meine Mama hat das echt alles super gemacht“