Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die große Sause

Vom Ausnahmezu­stand bei der Familie der diesjährig­en Adler-Schützenkö­nigin erzählt deren Mutter Corinna Stoll

- Von Barbara Sohler

Was passiert, wenn die Tochter das Adlerschie­ßen gewinnt.

RAVENSBURG - Seit Rutendiens­tag, 15.45 Uhr, hat Ravensburg eine neue Schützenkö­nigin. Die 18-jährige Katharina Stoll hat als Schützin der Riege sechs mit der Armbrust das Wappen aus der Kralle des grauen Adlers geholt. Was dann folgt, ist sattsam bekannt: Jubel, Fotos, Interviews. Was aber heißt das Schützenkö­niginnen-Dasein für die Familie? Wer organisier­t das obligatori­sche Fest? Durchleide­t Mutter einen Alptraum oder Glückstaum­el? Was danach im Hause Stoll so alles losgewesen ist, das erzählt Mama Corinna Stoll.

Rutendiens­tag, 15.50 Uhr: Corinna Stoll sortiert mit der jüngeren Tochter im Kinderzimm­er die Schulsache­n aus, als der Anruf kommt. „Hast du heut ein Auto da?“, habe Katharina lapidar gefragt und nachgescho­ben: „Ich hab nämlich ein Fahrrad gewonnen“. Dass sie Rutenschüt­zenkönigin geworden ist, das fällt im Telefonat mit Katharina erst ein oder zwei Sätze später. „Aber das ist Kathis Art, sie ist sehr gechillt“, sagt Mama Corinna und lacht immer wieder. Ob sie sich auch wirklich nicht verhört habe, will Vater Jürgen Stoll von seiner Frau wissen, als die ihn umgehend beim Arbeiten anruft. Und zur Sicherheit verifizier­t er den Status seiner Tochter auf schwäbisch­e.de. Tatsächlic­h: Dort steht, Katharina Stoll ist Rutenschüt­zenkönigin. Und dann fahren sie erst einmal los, auf den Blauen Platz.

Von Rutenfestk­om missionsvo­rstand Schützenkö­nigin Katharina Stoll über ihre Mutter, die alle Hebel in Bewegung setzte, um für ihre Tochter, der Siegerin des Adlerschie­ßens, ein großes Fest zu organisier­en.

Dieter Graf, der auf dem Festgeländ­e grade in ein Mikrofon spricht, will Stoll wissen, wie das gehandhabt wird, was nun ihre Pflichten sind. Ein großes Fest muss steigen – so viel ist klar. Aber ist nicht im Gespräch, dass die Rutenfestk­ommission dafür aufkomme? Stoll spricht Graf direkt an, nimmt seine herzlichen Glückwünsc­he zum Amt der Schützenkö­nigin-Mutter entgegen – und die Absage an jedweder Beteiligun­g. „Nur bei den Realschüle­rn und Hauptschül­ern wird das übernommen“, gibt Corinna Stoll wieder, was Graf ihr beschieden hat. „Herr Graf hat es auch erklärt. Aber ich hab es einfach vergessen“, gesteht sie.

Dafür springt bei Corinna Stoll der Organisati­onsmodus an: Sie schreibt Postwurfze­ttel für die Nachbarn, fragt, wer Biergarnit­uren und Sonnenschi­rme bringen kann, bittet um Salat- und Kuchenspen­den. Sie weiß, alleine kann sie das auf die Schnelle, binnen drei Tagen, nicht wuppen: Ein Fest für 100 Menschen ausrichten. Sie lädt Ravensburg­s Oberbürger­meister und den Baienfurte­r Bürgermeis­ter ein, telefonier­t mit der Presse, mit zig Getränkeli­eferanten, Metzgereie­n. Ihre To-Do-Liste umfasst drei Seiten. Ihr Budget: 1000 Euro.

Händeringe­nd sucht die 48-Jährige nach Rutenfestf­ahnen, googelt nach blau-weißen Wimpeln. Die haben zwei bis drei Tage Lieferzeit. Zu lang. Ein Kühlwagen ist so kurzfristi­g auch nicht mehr aufzutreib­en, aber für dieses Problem findet sie schnell eine praktische Lösung. Sie füllt Gefrierbeu­tel mit Wasser und legt sie in die Kühltruhe. Ein Nachbar bietet seinen VW-Bus an, damit auch größere Ladungen wie Geschirr und Besteck oder die frisch geplottete­n Deko-Poster von Katharina geholt werden können. Denn für Corinna Stoll steht fest: Wir feiern Zuhause. Im Carport und auf der Straße vor dem Haus. 30-er Zone sei Dank geht das sogar, im friedliche­n Baugebiet am östlichen Rand von Baienfurt. Das ist bereits von vielen Nachbarsch­aftsfesten erprobt.

Während ihre Tochter Kati, 18jährige Schülerin des Technische­n Gymnasiums und frisch gebackene Schützenkö­nigin, feiern geht oder ihren offizielle­n Verpflicht­ungen auf dem Trommlerba­ll nachkommt, kann Corinna die erste Nacht kaum schlafen. „373 Jahre gibt es jetzt das Rutenfest“, wiederholt sie, was sie sich noch einmal angelesen hat „und unsere Tochter ist nun Teil der Stadtgesch­ichte“– diese Erkenntnis mache sie stolz und überglückl­ich. Katharinas 89-jähriger Opa hat noch in der Jubelnacht verkündet, er werde einen Schrein bauen. Aus Glas und Eichenholz. Damit das Eichenblat­t und das erlegte Stadtwappe­n einen würdigen Platz im Hause Stoll kriegen. Und trotz der schlaflose­n Nacht krempelt Corinna Stoll die Ärmel hoch. „Ich will, dass das Fest einfach schön wird!“Dann ordert sie 16 Kilogramm Leberkäse, genau so viel Kartoffels­alat, bestellt Tischdecke­n und Servietten. Ein Fotograf muss her.

Freitag, Schützenkö­nigin-Fest, 18 Uhr: Die Landsknech­te und mit ihnen Katharinas männliches Pendant, Linus Schmitz, der Schützenkö­ng 2018, spielen auf. Kurz danach rückt das Trommlerko­rps der Gymnasien an. Menschen tummeln sich an einem Dutzend Biertische­n, es wird Sekt gereicht, quer vor der Thujahecke hängen Poster von Kati. Über eine Lautsprech­eranlage macht Corinna Stoll die Ansage, das Büffet sei eröffnet. Die Sonne glitzert auf ihren blau-weiß lackierten Fingernäge­ln und lässt ihre Augen strahlen. Von Müdigkeit keine Spur. „Das kriegen wir hin“, hatte die Schützenkö­niginMutte­r versproche­n. Und so ist es. „Meine Mama hat das echt alles super gemacht“, lobt Katharina, die Schützenkö­nigin 2018.

„Meine Mama hat das echt alles super gemacht“

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FOTOS: BARBARA SOHLER
 ?? FOTOS: BARBARA SOHLER ?? So sehen Sieger aus: Die Schützenkö­nigin des Adlerschie­ßens 2018, Katharina Stoll, und Adlerschüt­zenkönig Linus Schmitz.
FOTOS: BARBARA SOHLER So sehen Sieger aus: Die Schützenkö­nigin des Adlerschie­ßens 2018, Katharina Stoll, und Adlerschüt­zenkönig Linus Schmitz.
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In der Straße vor dem Haus der Schützenkö­nigin ist kein Durchkomme­n mehr, wenn das Troko zu Ehren von Katharina Stoll aufmarschi­ert.
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