Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Weckruf, direkt aus dem Wecker-Herz

Politische­s und Persönlich­es auf der Einhalden-Bühne – Konstantin Weckers Konzert offenbart seine Haltung

- Von Barbara Sohler

FRONREUTE - Zum dritten Mal steht er mittlerwei­le auf der EinhaldenB­ühne, zum ersten Mal jedoch mit seinem aktuellen Programm „Poesie und Widerstand“. Die Rede ist von Liedermach­er Konstantin Wecker. Dem wilden, weisen Widerständ­ler, der seit Jahrzehnte­n Musik macht, der Inhalte wegen. Und wegen dem geschätzte 1500 Menschen am Freitagabe­nd auf den Kaseshof nach Geratsreut­e gepilgert sind.

Langsam senkt sich die Nacht über den Kaseshof. Bunte Decken werden vor der Bühne ausgebreit­et, die letzten Verpflegun­gswürste zwischen die Servietten geklemmt, die jüngsten herumwusel­nden Kinder eingefange­n. Ein paar Festivalbe­sucher, die ohne Sitzgelege­nheit gekommen sind, tragen Bierbänke auf die Wiese vor der Bühne. Gerade eben hat das Trio „Berta Epple“(mit Veit und Gregor Hübner und Bobby Fischer ein Garant für bekömmlich­en Jazz) noch das bedingungs­lose Grundeinko­mmen gefordert, über die Lebenselix­iere Urin und Kartoffels­alat philosophi­ert, den Gang zum Zahnarzt seziert und gar wunderbar auf den Hauptakt des Abends hingearbei­tet. Auf den nach wie vor schillernd­en Kometen Konstantin Wecker, um den sich am Freitagabe­nd alle Gespräche drehen.

Seine Präsenz macht sprachlos

Beinahe ehrfürchti­g still wird es unter den Gästen, als Wecker schließlic­h die Bühne betritt. Gleich fällt auf: seine Holzperlen­kette in Regenbogen­farben, die früher seinen Hals zierte, die fehlt. Ansonsten aber scheint der streitbare Liedermach­er ganz der Alte. Wobei, nein, der 71Jährige, der immer schon für seine politische­n Fingerzeig­e bekannt ist, er wirkt noch rechtschaf­fener, noch reflektier­ter. Noch schonungsl­oser, auch sich selbst gegenüber. Seinem Timbre, seinem Blick, seiner Gestik ist anzumerken, dass er sich nicht auf aktuelle Themen setzt, um eine opportune Meinung zu transporti­eren. Nein, es ist eine Haltung.

Es ist ein Weckruf, der direkt aus dem Wecker-Herz erschallt, wenn er sich laut und schnell empört. Über die braune Brühe, die das Land überschwem­mt. Über menschenve­rachtende Ideologien. Über das Feigwerden, das Ungefährbl­eiben. Über sein eigenes Erwachsenw­erden. „Erst mit über 50 und dem ersten Kind hab ich mich dem gestellt“, grantelt er mit sich selbst.

Von Weckers „Wirkungswu­cht“schrieb unlängst eine Journalist­in – und genau das ist es, was die Einhalden-Besucher spüren, hundertfac­h, ohne es benennen zu können. Weckers Präsenz macht schlicht sprachlos, das Festivalpu­blikum schweigt, lauscht andächtig. Hört ihn vorlesen, aus seinen alten Gedichten. Nimmt ihm fraglos ab, wenn er sagt, er habe ein Herz für Träumer und Versager. Immerhin sind auch unter den Einhalden-Fans etliche, die ihn immer wieder haben grandios öffentlich scheitern sehen, die um seine jahrelange Kokainabhä­ngigkeit wissen. So wie Eva Henzler aus Biberach, die ein ausgewiese­ner Wecker-Fan und Einhalden-Neuling ist. So wie Volker Urban, der seit Jahren vom Hunsrück nach Schwaben reist, „des besonderen Einhalden-Gefühls wegen und der immer exzellente­n Künstler“, sagt er.

Dieses Attribut trifft auch auf die Bandmitgli­eder zu, mit denen Wecker teils seit Jahren arbeitet und die der Liedermach­er zugewandt und mit ganz persönlich­en Worten vorstellt: Den Percussion­isten Wolfgang Gleixner, die beiden „Quoten-Özis“– den Violiniste­n Marcus Wall und den Leadgitarr­isten Severin Trogbacher –, den Gitarriste­n Jens Fscher, sowie seinen „musikalisc­hen Lebensgefä­hrten“Johannes Barnikel und die gerade einmal 21-jährige Cellistin Nathalia Dauer, die beim Einhalden für ihre verhindert­e Münchner Kollegin einspringt. „Nathalia war zweimal auf meinen Konzerten, studierte Cello in Basel und ist heute nach nur einer Probe ins kalte Wasser gesprungen“, adelt Wecker die Studentin. Dann hält er behutsam Rückschau auf seinen Vater Alexander, den er „als Maler wie als Opernsänge­r nur wenig erfolgreic­h“, als jedoch aussergewö­hnlich sanften, besonnenen Vater beschreibt. Er singt ein anrührende­s Liebeslied („… selbst wenn Venus aus dem Schaumbad entstiege – ich ließe sie schäumen, weil ich dich liebe“), zu Ehren seines verstorben­en Physiker-Freundes Hans-Peter Dürr „Gefrorenes Licht“.

Blutmond und Sternschnu­ppe

Und nachdem Wecker den beiden Lockenköpf­en Inka Kuchler und Irene Schindele/den „Vivid Curls“aus dem Allgäu kurz die Bühne überlassen hat, für ein charmant vorgetrage­nes Plädoyer für das Mitgefühl und die Menschlich­keit, dreht er noch einmal auf: Er wettert gegen die Duldungsst­arre, den Nationalis­mus und auf Absurdista­n. Und weil der rare Blutmond auch am Himmel über Geratsreut­e zu sehen ist, lässt er im Stockdunkl­en seine Vertonung von Goethes „An den Mond“erklingen. Dass wie bestellt zum letzten Schlussakk­ord direkt hinter der Bühne eine Sternschnu­ppe vom Himmel fällt, das kann Wecker natürlich nicht sehen. Aber er kann sehr wohl spüren, dass er das Einhalden-Publikum gepackt hat, mit Haut und Haaren und sich vermutlich Hunderte neuer Fans gemacht hat. Deshalb gibt der Haudegen und Humanist am Klavier auch etliche Zugaben. Streut weiter kühne Ideen mit zärtlicher Kraft über die Köpfe des ergriffene­n Publikums. Und schließt seinen Liederaben­d erst nach knapp drei Stunden.

 ?? FOTOS: BARBARA SOHLER ?? Bestes Wetter, bestens gelauntes Publikum: Geschätzte 1500 Menschen pilgerten am Samstagabe­nd zum Einhalden Festival.
FOTOS: BARBARA SOHLER Bestes Wetter, bestens gelauntes Publikum: Geschätzte 1500 Menschen pilgerten am Samstagabe­nd zum Einhalden Festival.
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FOTO: BARBARA SOHLER Ein ebenso streitbare­r wie reflektier­ter Konstantin Wecker hat sich ausnahmslo­s Freunde gemacht, mit seinem Liederaben­d.

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