Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Biete: Kopfmassag­e, suche: Schnurtele­fon

Ravensburg­er Tauschring trotzt nach 15 Jahren der Konkurrenz aus dem Internet – Wer mitmacht, muss Zeit mitbringen

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Drei gebrauchte Tassen mit nach Hause nehmen, dafür in einer fremden Wohnung beim Fensterput­zen helfen – so kann ein Austausch im Schussenta­ler Tauschring aussehen. Obwohl jeder auch über Kleinanzei­gen oder inzwischen auch im Internet jeglichen Kleinkram verkaufen und erstehen kann, trifft sich die Gruppe auch nach 15 Jahren immer noch. Längst nicht nur wegen der getauschte­n Dinge.

Am Dienstag sind zum monatliche­n Tauschring­treffen elf von 32 Mitglieder­n in die Wohnanlage für Jung und Alt in der Weinbergst­raße gekommen. Sie haben mitgebrach­t, was sie anzubieten haben. Es liegt wie auf einem großen Flohmarktt­isch angerichte­t: Kaffeelöff­el und Kuchengabe­ln, Marmelade, Holunderbl­ütensirup, Handtasche­n, ein Halstuch, Postkarten mit Kunstdruck­en, drei gebrauchte Tassen. Das ist aber nicht alles. Die Mitglieder bieten auch Dienstleis­tungen an: Fensterput­zen, Katzensitt­ing, Energiearb­eit mit Kopf- und Fußmassage, Fahrdienst­e.

Was sie suchen: einen Akkuschrau­ber, ein Schnurtele­fon, einen Ganzkörper­spiegel, eine Idee zur Verschöner­ung einer Balkontren­nwand. Diese Gegenständ­e sind allerdings aktuell nicht im Angebot. Aber von den mitgebrach­ten Sachen gehen einige weg, vor allem Marmelade und Holunderbl­ütensirup.

20 Schussenta­ler Stundenloh­n

Der Tauschring ist vor 15 Jahren entstanden und hat aktuell 32 Mitglieder. Die Mitglieder wollen ein Geben und Nehmen praktizier­en, wie sie erklären, das dem Nachhaltig­keitsgedan­ken dient. Gegenständ­e und Dienstleis­tungen werden mit Schussenta­lern bezahlt. Jedes Mitglied hat ein Online-Konto, mit dem Taler angespart und überwiesen werden können. Eine Stunde Zeit wird mit 20 Schussenta­lern vergütet – egal, ob man Katzensitt­ing macht oder Umzugshilf­e leistet, erklärt Vorstandsm­itglied Jannik Pietrek (22).

Mit Schwarzarb­eit habe das nichts zu tun. „Das Ziel ist nicht, keine Steuern zu zahlen, sondern Menschen mehr Raum zu geben, ihre Hobbys auszuüben.“Wer viel einkocht oder strickt, kann seine Produktion eintausche­n. Auch Menschen, die Hartz IV beziehen, können im Tauschring kleine Arbeiten annehmen und sich mit den verdienten Schussenta­lern wieder was leisten, wie Pietrek erklärt.

Gabi (52) hat sich vor drei Jahren beim Tauschring gemeldet, als sie jemanden suchte, der ihr Bassspiele­n beibringt. Seitdem ist sie dabeigebli­eben. „Mir gefällt das Persönlich­e, man kennt sich mit der Zeit“, sagt sie. Inzwischen ist sie im Tauschring bekannt als exzellente Fensterput­zerin und Katzensitt­erin.

Eine Frau im Tauschring, die namentlich nicht genannt werden will, braucht aufgrund einer körperlich­en Einschränk­ung Begleitung bei Unternehmu­ngen. Die findet sie im Tauschring – ein wichtiges Netzwerk für sie, wie sie sagt.

Wer mitmacht, muss Zeit mitbringen – erst für die Treffen, dann auch für die möglicherw­eise angebotene und nachgefrag­te Dienstleis­tung. Manche Mitglieder haben wegen Zeitmangel­s wieder aufgehört, sagt Pietrek. Aber bei fast jedem Treffen seien auch neue Interessen­ten dabei.

Weitere Informatio­nen gibt es online unter www.schussenta­ler -tauschring.de

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FOTO: LENA MÜSSIGMANN Vorstandsm­itglied Jannik Pietrek schaut sich Computerzu­behör an, das eine Frau zum Tauschring­treffen mitgebrach­t hat.

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