Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Die Musik ist mein Kumpel“
Clueso hat sein neues Album „Handgepäck I“vorgelegt
Der Erfurter Musiker Clueso hat am 24. August sein neues Album „Handgepäck I“veröffentlicht. Der Künstler, der mit bürgerlichem Namen Thomas Hübner heißt, hat sich auch durch seine Zusammenarbeit mit den Fantastischen Vier oder Udo Lindenberg einen Namen im deutschen Musikgeschäft gemacht. Im Interview mit Eva-Maria Peter spricht der 38-Jährige über sein neues Album, das er mit einer Gitarre, einem Mikrofon und einem Aufnahmegerät selbst produziert und gemischt hat.
2015 gab es einen Schnitt in deiner Karriere. Du hast dich von deiner Band getrennt. Das neue Album hieß dann „Neuanfang“. Rückblickend: War das bis heute eine richtige Entscheidung?
Ja, auf jeden Fall. Ich mag meine aktuelle Situation. Manchmal frage ich mich, hätte ich das alles mit der alten Band nicht doch hinbekommen? Damals war dieser Schritt allerdings notwendig für mich, um wieder frei und unabhängig zu sein. Umso schöner, dass ich jetzt ein Album habe, auf dem viele Songs mit den alten Musikern drauf sind.
Was ist die größte Veränderung seither?
Jeder Musiker, mit dem ich heute zusammenarbeite, macht auch noch sein eigenes Ding. Früher war ich viel abhängiger und hatte viel mehr Druck, weil ich eine Zukunft für die Leute generieren musste. Ich fühle mich jetzt ein bisschen Handgepäckmäßig.
Was bedeutet der Titel deines neuen Albums „Handgepäck I“für dich? Leichtes Gepäck im übertragenen Sinne?
Ich reise nur mit Handgepäck, das war ausschlaggebend für den Titel. Ich mache unterwegs gerne Musik. Und die Songs habe ich alle unterwegs aufgenommen. Meistens ungeplant. Es passiert einfach. Und ich habe auf Reisen gar nicht so viele Sachen und Instrumente parat, weshalb „Handgepäck I“ein minimalistisches Album ist. Eine Couch für Percussion, Schnipsen als Meer, Salzstreuer als Shaker. Das macht diesen ganz eigenen Sound aus. Die besten Stücke habe ich über Jahre gesammelt, und mittlerweile sind es wirklich viele Songs. Deshalb heißt das Album „Handgepäck I“.
Also ist Handgepäck auch ein Synonym für deine minimalistische Lebensart?
Minimalismus passt zu mir. Ich mag es, wenig Zeug zu besitzen und bei mir zu haben. Auch meine Bude ist sehr minimalistisch. Es gibt keine großen Schränke oder Tische. Weniger ist mehr. Ich finde, aus wenig viel machen ist besser als umgekehrt – das zeigt sich in jeder Lebenssituation.
Entstanden sind die Lieder über viele Jahre verteilt in Hotelzimmern und Autos, hinter der Bühne, auf Inseln und Bergen. Wie kann man sich das Songwriting vorstellen?
Ich bin angekommen, indem ich auf Reisen gegangen bin. Andere Gerüche, Kulturen, Gebäude und Menschen. Alles, was auf Reisen passiert, erlebt man zum ersten Mal. In Äthiopien beispielsweise wurde ich von der Lebensweise der Menschen wachgerüttelt. In Neuseeland hat die Landschaft mich berührt. Manchmal schreibe ich nur eine Strophe oder einen Satz. In einem Hotel spiele ich Gitarre, im nächsten dann Percussion. Nur sehr wenige Songs schreibe ich durchgehend sofort. Meine Songs sind wie Polaroids, die werden auch nicht bis ins Detail beschriftet, sondern das Foto an sich gibt das Gefühl vor.
Wie viel Zeit liegt denn zwischen den Titeln?
Über sieben Jahre habe ich gesammelt. Das erste Lied „Dünnes Eis“ist zur gleichen Zeit wie „Gewinner“entstanden. Und „Du und Ich“ist auch schon sechs, sieben Jahre alt. Den Song wollte ich immer aufbewahren. Er ist die Säule für dieses Album.
In einer Mitteilung schreibst du: „Mit ,Handgepäck I’ legt Clueso sein Herz auf den Tisch.“Wie ist es so für dich, wenn du dein Inneres nach außen kehrst?
Ich mache das nur sehr codiert. Der Song „Stein“zum Beispiel sagt viel, kommt aber nicht auf den Punkt. Ich umschreibe Sachen gerne und mache mit kleineren Gesten klar, was in mir vorgeht.
Was würdest du jedem jungen Menschen als Lebensweisheit mit auf den Weg geben?
Meine Lebensphilosophie ist, immer schön neugierig bleiben, aber nicht jeden Scheiß mitmachen. Im Gegenzug: Ein bisschen einsam, melancholisch oder nachdenklich zu sein, schadet nie. Mir hat das immer wahnsinnig viel Energie gegeben. Wer traurig ist, sitzt in der Hocke und muss schauen, wie er den Sprung nach oben schafft. Jedes Hindernis, das man überwinden muss, lässt einen reifen und gibt Kraft.
Als Künstler im Rampenlicht gestaltet sich das Alleinesein vermutlich etwas schwierig …
Ich habe wahnsinnig viele Reize, und ich mache immer viel zu viel. Meistens sagt mir mein Körper dann, mach mal langsam. Ich brauche diese Zeiten alleine. Falls sich wirklich jemand einsam fühlt, ist es immer gut, ein Hobby zu haben oder etwas, das einen erfüllt. Die Musik ist mein Kumpel. Sie gibt mir Identifikation und Halt, wenn ich gefühlt alleine bin.
Du machst gerne Songs mit anderen Künstlern. Was macht den Reiz daran aus?
Bei einer Type wie Udo Lindenberg versuche ich, so viel abzugucken, wie nur geht. Auf die meisten Sachen, die er macht, würde ich nie kommen. Und er ist so wunderbar gelassen. Mit Künstlern zusammenzuarbeiten und zu schreiben ist sehr lehrreich. Jeder hat andere Herangehensweisen und Ideen. Ich habe am meisten gelernt, wenn ich mit Leuten Features geschrieben habe.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit den Fantastischen Vier? Was schätzt du besonders an den vier Musikern?
Die Fantas waren früher meine Labelchefs, und die haben ganz spontan gefragt, ob ich Lust auf einen Song habe. Die vier sind Vollprofis, großartige Schauspieler und ironische, lustige Typen. Sie sind nicht nur Musiker, sondern richtige Entertainer. Die Kamera geht an, und die Fantas sind da. Das ist etwas, was ich erst noch lernen muss. Nicht nur dastehen und sagen „Ich bin Clueso und habe ein neues Album draußen.“Viel neue Energie und eine kreative Herangehensweise werden immer wichtiger.
Gibt es weitere Künstler, mit denen du gerne arbeiten würdest?
Ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Wolfgang Niedecken habe ich bei einer Radiosendung kennengelernt. Udo hat mich einfach angeschrieben. Wenn ich einen absoluten Wunsch äußern muss, dann würde ich gerne mit Damon Albarn von der britischen Rockband Blur zusammenarbeiten. Den finde ich als Artist cool. Aber ob das was wird, das weiß ich nicht.
Wo siehst du dich in 20 Jahren?
Ich habe den Traum, mit meiner Kunst in Würde zu altern. Es gibt nichts Schlimmeres als Künstler, die übersehen haben, dass sie älter werden, und immer den gleichen Kram machen. Ich möchte mich ausprobieren, überraschen und nie stehen bleiben.
Live: 26.10. CH-Basel, Baloise Session;
20.11. Heidelberg, Halle02; 23.11. München, Muffathalle