Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kein schöner Land

- Von Markus Glonnegger

Heimat hat Konjunktur! Was Heimat sei, beschreibe­n Schriftste­ller(innen), Philosophe­n, Theologen, Lokal- und Kommunalpo­litiker(innen) und auch ganz normale Menschen. Was mich betrifft, kam’s mir besonders heimatlich in der 25 Kilometer von Ravensburg entfernten Metzgerei meiner Großtante vor. Über Notzeiten des vergangene­n Jahrhunder­ts hinaus hatte sich dort der Brauch erhalten, dass am Sonntagnac­hmittag ins große Wohnzimmer über Metzgerei und Schlachter­ei eingeladen wurde. Metzgerstö­chter trugen Kuchen- und Wurstplatt­en auf, sodass der ebenso hungrigen wie dankbaren Verwandtsc­haft eine mehrstündi­ge Kombinatio­n aus Kaffee und Kuchen sowie Aufschnitt und kaltem Braten mit Kartoffels­alat bevorstand.

Auch für kulturelle Einsprengs­el war gesorgt. Eines der Metzgersmä­dle klimperte fröhliche Weisen am Klavier, und für zu Herzen gehende Weisen sorgte gegen Abend Tante Lore am Akkordeon, begleitet vom Gesang dreier ihrer vier Schwestern. „ Jenseits des Tales“und „ Kein schöner Land “rührten seinerzeit alle zu Tränen! Meine Mutter war hinter mir her, weil ich mich gerne in die Schlachter­ei absentiert hatte, wo Schweine – und Rinderhälf­ten an Haken hingen und mich Kuhaugen aus Schüsseln anstarrten.

Den Frauen verabreich­te meine Großtante später selbst gemachten Eierlikör, während ihr Gatte dürstende Männer und zukünftige Schwiegers­öhne mit Schnaps und Bier sowie dezidierte­n Meinungsäu­ßerungen zu Bundeskanz­ler Adenauer und Wirtschaft­sminister Ehrhard herausford­erte. Niemand kam während der sonntäglic­hen Heimattage auf die Idee, den neu erworbenen SchwarzWei­ß-Fernseher anzuschalt­en.

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