Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wird die Friedrichshafener Innenstadt zur Schlafstadt?
Häfler Einzelhändler klagen über unattraktive Altstadt, ausbleibende Kundschaft und austauschbare Geschäfte
FRIEDRICHSHAFEN - Bietet die Häfler Innenstadt dem Einzelhandel zu schlechte Bedingungen? Diese Ansicht herrscht in inhabergeführten Geschäften, mit denen die SZ gesprochen hat: Kritisiert werden die Dominanz der Filialisten, hohe Ladenmieten und eine verwaiste Fußgängerzone.
„Die Leute gehen nur gezielt in die Stadt, aber nicht, weil sie sich dort wohlfühlen“, sagt Andreas Gessler, Inhaber der Buchhandlung Gessler 1862. Michael Weiss, Inhaber der Konditorei Weber und Weiss, pflichtet bei. Er hat sein Geschäft in der Wilhelmstraße, mitten in der Fußgängerzone. „Es ist eine Katastrophe, wie wenig in dieser Toplage los ist“, sagt er. „Unsere Stammkundschaft kommt wegen bestimmter Produkte gezielt zu uns“, fährt er fort. „Aber von Spontankäufen wie in den Fußgängerzonen anderer Städte könnten wir nicht leben.“
Die Innenstadt, so der Tenor, biete zu wenig Aufenthaltsqualität. „Wir brauchen Läden, für die die Leute gern in die Innenstadt kommen. Sonst ist sie tot“, mahnt Martina Kraus, Geschäftsführerin der Buchhandlung Ravensbuch. Ihr fehlt ein gesunder Branchenmix. Die Innenstadt biete wenig mehr als Modeund Schuhgeschäfte. „Wenn Friedrichshafen kein Konzept entwickelt, welche Geschäfte sie in der Innenstadt haben will, entwickelt sie sich zur Schlafstadt – und eingekauft wird woanders.“
Stadtmarketing-Geschäftsführer Thomas Goldschmidt verweist auf das vor fünf Jahren beschlossene Einzelhandelskonzept. Darin seien eine Steigerung der Aufenthaltsqualität und eine Verbesserung des Branchenmixes festgehalten. Die Stadt habe auch erkannt, dass sie in diesen Bereichen mehr tun müsse. Allerdings habe das Stadtmarketing nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten, schränkt er ein. Das Ergebnis ist eine Innenstadt, aus der sich die alteingesessenen Einzelhändler zurückziehen und in der die Filialisten das Ruder übernehmen.
Stadtbild wird gesichtslos
Hinter Filialen stehen zahlungskräftige Konzerne, die den Vermietern der Ladenlokale maximale Mieteinnahmen garantieren. Goldschmidt schränkt ein: Oft seien die Betreiber von Filialen Franchise-Nehmer, und damit wiederum Einzelhändler auf eigenes Risiko. Daran, dass das Stadtbild gesichtslos wird, ändert diese Unterscheidung aber nichts. „Die Fußgängerzone von Friedrichshafen sieht genauso aus wie die von Singen. Die Filialen sind dieselben“, kritisiert Martina Kraus. Für Existenzgründer, die eine gute Geschäftsidee haben, aber kein Geld für teure Ladenmieten, scheint Friedrichshafen das falsche Pflaster zu sein: „Uns fehlt ein Viertel, in dem junge Leute einfach mal was ausprobieren können“, sagt Thomas Goldschmidt. Deshalb will das Stadtmarketing 2019 einen Wettbewerb ausloben, für junge Leute mit guten Einzelhandelsideen. Dem Sieger will das Stadtmarketing bei der Suche nach einem Ladenlokal helfen und eventuell bei der Bezahlung der Miete unterstützen. Erfahrene Einzelhändler sollen beratend zur Seite stehen.
Aber muss die Stadt nicht auch an die Vermieter appellieren? An ihre Mitverantwortung für das Gesicht der Innenstadt? Die Stadt habe zwar keinen direkten Einfluss darauf, an wen ein Vermieter ein Ladenlokal vergebe, meint Martina Kraus von Ravensbuch. „Aber man muss eine Perspektive für die Stadtentwicklung haben. Mit einem Konzept, welche Läden man sich in der Innenstadt wünscht, könnte man auf die Vermieter zugehen und sie ins Boot holen.“ Ein solches Konzept und seine Durchsetzung vermisst sie. Andreas Gessler glaubt nicht recht, dass das etwas nützen würde: Darauf würden sich nur alteingesessene Häfler einlassen, aber nicht die Investoren des Immobiliensektors. Andreas Goldschmidt bestätigt diese Sicht: „Die Investoren setzen den Schwerpunkt auf den Wohnbau. Das Thema Einzelhandel fällt da ein wenig hinten runter.“Grundsätzlich, betont Goldschmidt, stehe das Stadtmarkting Vermietern aber beratend zur Seite und unterbreite auch eigene Wünsche. Teilweise suche das Stadtmarketing Vermieter bereits auf, bevor ein Ladenlokal leerstehe. Wenn es sich beim Eigentümer um eine Erbengemeinschaft handle, habe man aber meist schlechte Karten. Erbengemeinschaften entschieden sich meist für Mieter, die kurzfristig mehr Geld und zugleich Sicherheit böten, so Goldschmidt – also für Ketten.
Wenn schließlich jede Stadt Filialen derselben Ketten hat, nagt das aber an der Höhe der Mietpreise – weil die Kunden aus den Nachbarstädten ausbleiben. „Früher hatten wir mit H&M ein Alleinstellungsmerkmal in Friedrichshafen“, sagt Martina Kraus. „Dann ging H&M 2016 auch nach Ravensburg. Diese Kundschaft aus Ravensburg fällt für Friedrichshafen jetzt weg.“Aufs Ganze gesehen, sägen Vermieter durch die Bevorzugung von Filialisten so am eigenen Ast.
Leerstand im Zentrum
Das Laufpublikum fehle aber auch, weil das Bodenseecenter die Kundschaft aus der Innenstadt rausziehe, kritisiert Antje Kreis vom Reformhaus Merk: „Dadurch fehlt uns nicht nur der Umsatz. Es fehlen auch die Leute, die hier flanieren und Gelegenheitseinkäufe machen könnten.“Lässt sich dem entgegenwirken, etwa durch verkaufsoffene Sonntage? Antje Kreis glaubt das nicht: „Die Kunden kommen dann an diesem Sonntag, nehmen etwaige Vergünstigungen mit und werden nie mehr gesehen.“Konditor Michael Weiss hält die Maßnahmen zur Förderung des Einzelhandels für wenig mehr als Aktionismus. Schon in den 1990ern habe er ein durchgängiges Marketingkonzept gefordert, „verbunden mit einem schönen Branchenmix“, sagt er. „Aber das ging in den letzten Jahrzehnten leider komplett in die andere Richtung.“Als Einkaufsstadt habe Friedrichshafen überhaupt keinen Namen. Weiss macht die Zahl der leerstehenden Läden in der Stadt Sorgen. Andreas Goldschmidt hält dem entgegen, die Leerstände seien über die Jahre etwa konstant geblieben. „Im Vergleich mit anderen Städten ist unsere Lage normal.“Momentan seien die Leerstände augenfällig, weil in kurzer Zeit mehrere Traditionsgeschäfte altershalber aufgegeben haben – das Markkörble etwa, das Sporthaus Baur-Schlegel oder das Schuhhaus Trapp.
Das Einkaufserlebnis lebt auch vom Flair einer Stadt. Nur tue sich hier nichts, moniert Andreas Gessler. Die Friedrichstraße zum fußgängerfreundlichen Boulevard mit viel Grün zu verwandeln, davon habe man schon vor Jahren gesprochen, als er seine Buchhandlung umgebaut und neu eröffnet habe. „Aber es ist niemand da, der das vorantreibt. Und nun heißt es, das hänge mit der Neugestaltung des Uferparks zusammen.“Auch der Adenauerplatz sei quasi tot. „Da sitzt im Sommer niemand, außer vor dem Rathauscafé. Dabei ist das der Rathausplatz. Der sollte belebt und begrünt sein.“
Gastronomie zu monoton
Belebt ist in Friedrichshafen vor allem die Seepromenade. Schon eine Häuserreihe weiter, in der Karlstraße, ist sehr viel weniger los. Für Martina Kraus ist die Promenade ein Pfund, mit dem man aber nicht zu wuchern verstehe. „Der schöne Blick zum See reicht den Kunden nicht. Dieser Blick ist vielleicht in Lindau nicht so schön wie hier. Aber dafür gibt es dort am See schöne individuelle Läden und hochwertige Lokale.“Die Qualität der Gastronomie direkt am See kritisiert auch Michael Weiss: „Wir haben eine reine Tourismus-Gastronomie, die im Winter bis auf wenig Ausnahmen zumacht.“
Schließlich leide der Einzelhandel unter einer schwierigen Parksituation. „Mal schnell mit dem Auto vor einem Geschäft parken, um rasch eine Besorgung zu machen, das geht nicht; man muss ins Parkhaus und hinlaufen“, bemängelt Andreas Gessler. Ein Problem sei das insbesondere für ältere Kunden, die sich dann ein Geschäft außerhalb der Altstadt mit Parkplatz suchen – oder im Internet bestellen. Martina Kraus fasst das Dilemma so zusammen: „Unser Sortiment kann so gut sein, wie es will. Wenn es an Kundenfrequenz fehlt, weil die Leute in anderen Städten zum Einkaufen gehen, haben wir und alle anderen Läden längerfristig ein Problem.“