Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie eine Bauernfamilie ums Überleben kämpft
Anklage wegen Tierquälerei – Vor Gericht zeigt sich: Die Familie kommt kaum über die Runden
KREIS LINDAU - Als Richter Klaus Harter die Angeklagte fragt, wie viele Menschen mit ihr auf dem Bauernhof leben, muss die Frau erst einmal durchzählen. Von ihren insgesamt neun Kindern leben sechs bei ihr, eines davon hat eine Behinderung. Dazu kommen drei Enkelkinder und der Lebensgefährte einer Tochter. Die 54-Jährige macht klar: Sie alle leben mehr oder weniger von dem, was der Hof abwirft. Doch das sind vor allem Schulden. Und die kranke Kuh, wegen der die Frau vor Gericht stand, ist bei Weitem nicht das größte Problem der Familie.
Wahrscheinlich schlimmer sind die fast 400000 Euro Schulden, die ihr Mann hinterlassen hatte, als er die Familie verließ. Seitdem hat die Bäuerin fast zwei Vollzeitjobs, wie ihr Anwalt dem Gericht in einem Brief schrieb.
Während dieser Zeit kümmern sich die Kinder, vornehmlich der 18-jährige Sohn, um den Bauernhof in einer Kreisgemeinde. Er war es auch, der die Tierärztin gerufen hatte, als eine Kuh Ende Januar im Futtergitter hängen geblieben und danach nicht mehr aufgestanden war. „Ich habe ihm gesagt, am günstigsten wäre es, wenn die Kuh von allein aufsteht“, sagte die Tierärztin aus. Zumindest aber müsse die Kuh aktiv mitarbeiten, wenn sie hochgezogen würde. Ansonsten müsse das Tier eingeschläfert werden. „Als ich nichts mehr gehört hatte, dachte ich, der andere Tierarzt sei dagewesen oder die Kuh sei von selber wieder aufgestanden.“
In Wirklichkeit aber lag die trächtige Kuh noch immer im Stall. Mitarbeiter des Lindauer Landratsamts entdeckten sie mehr als zwei Wochen später bei einer Routinekontrolle. „Das Tier lag fest und hatte eine stark erhöhte Atemfrequenz“, sagte eine Zeugin aus. Am Tag darauf habe ein Tierarzt das Tier eingeschläfert. „Die Kuh hatte Druckstellen am Ellenbogen.“Das Gutachten der Pathologie habe später ergeben, dass das Tier mindestens fünf bis sieben Tage auf einer Seite gelegen und dabei erhebliche Schmerzen und Leiden ertragen haben muss. „Man hätte die Kuh mehrmals am Tag umdrehen müssen“, erklärte die Zeugin.
Die Angeklagte beteuerte, dass ihr Sohn und einige Helfer die Kuh regelmäßig gewendet hätten. Ihr Sohn, der der Mutter offenbar verschwiegen hatte, wie ernst die Situation ist, beteuerte, er habe das Tier sogar alle sechs Stunden umgedreht. „Wenn die Kuh täglich gedreht worden wäre, hätte sie keine Druckstellen gehabt“, sagte die Landratsamtsmitarbeiterin – und ergänzte: „Immerhin war gut eingestreut.“
Trotz allem: Dass sie ihr Tier quälen, sei weder der Bäuerin noch ihrem Sohn bewusst gewesen, wie beide glaubhaft beteuerten. „Mir ist jetzt durch die Bilder klar, dass es Tierquälerei war. Vorher habe ich das nicht so gesehen“, sagte die Angeklagte. Früher habe sie öfter erlebt, dass Kühe vor der Entbindung liegen geblieben und danach plötzlich wieder aufgestanden seien. Ihr Sohn erklärte, ihm sei es bei der ganzen Sache auch um das ungeborene Kalb gegangen.
Zeugin: Familie ist fleißig, aber überfordert
„Gibt es an dem Hof generell Beanstandungen?“, wollte Richter Klaus Harter von der Landratsamtsmitarbeiterin wissen. „Sehr viele und sehr oft“, antwortete diese. Die Familie sei sehr fleißig und sehr willig – aber überfordert. „Die Milchhygiene ist oft nicht gut, Kälber haben kein Wasser, es wird nicht gemistet. Einmal lag eine tote Kuh tagelang im Betrieb.“Auf den Hof aufmerksam geworden sei das Landratsamt durch eine Zufallskontrolle. „Wir haben es erst im Guten versucht, seit Anfang 2017 gab es aber immer wieder Verstöße.“
Die Staatsanwältin sah den Sachverhalt am Ende der Verhandlung als bestätigt an, sie beantragte wegen Tierquälerei eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu 20 Euro.
Richter Klaus Harter sah das zwar ähnlich, allerdings verwarnte er die Angeklagte nur. „Bei Ihnen ist es einfach eine Ausnahmesituation. Nachdem, was Ihnen zwischenmenschlich passiert ist, liegt der Fokus vielleicht nicht bei den Tieren“, sagte er. Die Angeklagte müsse ein Jahr unbescholten überstehen, ansonsten drohe ihr eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu 15 Euro.
Wie es auf dem Hof jetzt weitergehe, wollte Harter schon zu Beginn der Verhandlung wissen. Der Lebensgefährte ihrer Tochter mache derzeit eine Landwirtschaftslehre, erzählte die Angeklagte. Mit dessen Hilfe wolle sie versuchen, den Betrieb wieder auf die Beine zu bekommen. Denn: Den Hof aufzugeben, das könne sie sich nicht vorstellen. Auch wegen ihres behinderten Kindes. „Welcher Vermieter nimmt uns denn?“