Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Literatur abseits der Trampelpfade
Georgien bei Kleinverlagen – Eine Übersicht von Titeln auf der Frankfurter Buchmesse
Georgien ist das Land der Märchen, die Georgier sind für ihre Erzählfreudigkeit bekannt.“Solche Parolen, wie hier vom Suhrkamp-Verlag, werben für das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Man erfährt, dass Georgien seit der Antike ein Paradies war, und es hier die klarsten Bergseen, die sich biegendsten Tische, die autochthonsten Weinreben und die orthodoxeste Kirche gibt. Bleibt dann nur unerklärlich, warum auch die meisten Asylanträge unter den Bruderländern der alten Sowjetunion aus Georgien kommen.
Die Bewirtschaftung solcher Klischees reduziert freilich die Literaturproduktion des Landes auf den Rahmen, den sie zur Sowjetzeit hatte. Die „reiche Märchenkultur“war ein Fluchtrevier für Autoren, die nicht die offiziellen sowjetischen Themen abarbeiten wollten. Was Mythen, Helden und Familiensagen für die Prosa waren, sind Naturschilderung und Kaukasusromantik in der Lyrik. Es gibt freilich auch eine georgische Literatur abseits des Trampelpfades. Man findet sie zumeist bei kleineren Verlagen.
Einer davon ist der Kölner Weidle-Verlag, der zur Messe zwei Bücher von Aka Morchiladze (Jahrgang 1966) mitbringt. Der Autor lebt inzwischen in London. Die beiden Titel führen in die Umbruchszeit Georgiens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und haben Rekordauflagen erzielt. In seiner „Reise nach Karabach“(1992) geraten zwei Drogenkuriere in den Nagori-KarabachKonflikt, beim „Filmvorführer“(2009) geht es um Afghanistan und den Gesellschaftswandel in Georgien. (Weitere Titel dieses Autors führt der Mitteldeutsche Verlag.)
Ebenfalls ein großer Erfolg war 2014 das Romandebüt des Journalisten Luka Bakanidze (Jahrgang 1982). „Das dritte Ufer“ist nun auf Deutsch beim Berliner Klak-Verlag erschienen, der ebenfalls weitere Georgientitel im Programm hat. Auch Bakanidze schildert die Umbruchsituation Georgiens, ist aber näher an der Gegenwart. Bei ihm ist bereits jede Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse verschwunden. In seinem Roman lebt eine Gruppe jüngerer Menschen auf der Straße und in der UBahn von Sex und Drogenhandel und ist ansonsten in virtuellen Welten „zu Hause“.
Blick auf die Verlierer
Mit Surab Leschawa ist der Vater des Konzepts, den Blick auf die Ränder der Gesellschaft zu richten, im Programm der Berliner „Edition Monhardt“. Das Buch „Ein Becher Blut“ist eine Sammlung von Erzählungen aus den Jahren 2009 bis 2011. Leschawa (Jahrgang 1960) ist der „am meisten unterschätzte Schriftsteller der georgischen Literatur“, schreibt der in Berlin lehrende Literaturwissenschaftler Zaal Andronikashvili.
Leschawa hält als Person wie mit seinem Werk Distanz zum Mainstreambetrieb seines Landes. Er hat eine eigenständige Poetik entwickelt und verbindet die Darstellung verarmter und verwahrloster Personen mit der Erzählform der Groteske. Sozialkritische Themen waren in der georgischen Literatur um 1900 präsent, in der besten aller Sowjetzeiten tabu, die Gegenwartsliteratur spiegelt überwiegend das gut situierte Milieu der Hauptstadt. Die Groteske, schreibt Andronikashvili, wird bei Leschawa zu einem Ausdrucksmittel für die Lebensumstände derjenigen, die auf dem Weg des Landes durch Wirtschaftskrise und Bürgerkrieg die Verlierer sind.
Die Edition Monhardt hat zwei weitere Georgientitel: Mit Lia Sturua (Jahrgang 1939) ist die große alte Dame der Lyrik vertreten, die in den Sechzigern mit freien Rhythmen den Sozialismus verstörte. Und mit Reso Tscheischwilis „Die himmelblauen Berge“von 1980 (1983 verfilmt) ein Klassiker. Die deutsche Ausgabe hat es zur Messe auf die „Hotlist“der besten Bücher unabhängiger Verlage geschafft.