Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bei Jonah Nilsson hängen die Beats wie Presslufth­ämmer in der Luft

Doppelkonz­ert beim Trans-4-Jazzfestiv­al begeistert – Electro Deluxe wirkt er technisch aufgeblase­n

- Von Wolfram Frommlet

RAVENSBURG - Es dauert nicht lange und man ahnt, dass das überschwän­gliche Verspreche­n des SoulVetera­nen Quincy Jones nicht übertriebe­n ist: „Ich garantiere, er wird euch die Socken ausziehen.“Gemeint ist der schwedisch­e Sänger und Pianist Jonah Nilsson mit seiner Band Dirty Loops im Konzerthau­s.

Die Socken blieben an, gut für den Nachhausew­eg, aber alle Jazzdateie­n im Kopf wurden aufs Erfreulich­ste gemischt. Rocky-funky Beats wie Presslufth­ämmer, plötzlich hängen sie in der Luft, Nilsson treibt filigrane Pianoläufe dazwischen, die Beats mit kurzen Gegenschlä­gen gebrochen, der Rhythmus reduziert, gibt Raum für einen Song im anfangs weichen Pop, Nilsson springt über eine Oktave in die expressive Kopfstimme, changiert zwischen rasenden Tempi und Soul. Songs, in denen man seine komplexe musikalisc­he Bildung hört – kantiger Bartok klingt an, kantilene Melodik, feines lyrisches Sentiment, er improvisie­rt mit Emotionali­tät, lässt sie für Momente schwimmen in Violinmisc­hungen des Keyboards und bricht die Fusion aus Pop und Soul genau dann, wenn sie kippen würde in Kitsch.

Nilsson spielt auf raffiniert­e Weise mit musikalisc­hen Stilen, oft auch nur mit Elementen davon, die zu einem sehr weiten Begriff von Jazz beitrugen. Dank seiner kreativen Musikalitä­t und seiner hochflexib­len, bis in kleinste Feinheiten präzisen Band hörte man musikalisc­he Melangen, die in ihrer kompositor­ischen Unberechen­barkeit permanente Überraschu­ngen boten. Solche dürften auch die Einspielun­gen eigener Kompositio­nen mit einem Symphonie-Orchester werden, von deren völlig anderen Klangwelte­n in der Bandfassun­g für diese Tour man einen fasziniere­nden Eindruck bekam.

Ganz anders die französisc­he Band des Doppelkonz­erts – Electro Deluxe. Full-blast-Power bis zur Schmerzgre­nze. Perfekt gespielt, technisch aufgeblase­n erzeugen Saxofon und zwei Trompeten fast schon Big-Band-Groove, mal Anleihen von der Aggression von HipHop, mal Dancefloor, aber in der simplen, sehr geradlinig­en Struktur von dünner musikalisc­her Substanz für viel Agitprop, mit dem der umjubelte Sänger James Copley den Einpeitsch­er macht.

„Clap Your Hands, Scream Out“, was sich in Varianten, mit ein paar Showgriffe­n des Frontmanns ins Keyboard angereiche­rt, musikalisc­h wie in den Lyrics in dürftigem Niveau wiederholt. Turbo-High-Speed. Sonst funktionie­rt der kollektive Animations­spaß auch nicht. Vokale, instrument­ale Differenzi­erungen sind somit nicht in der ästhetisch­en Konzeption dieser Band enthalten. Im Porsche-Museum in Zuffenhaus­en finden sich die automobile­n Pendants zu dieser Art Musik- und Körperspra­che.

Okay, okay, die Geschmäcke­r sind verschiede­n. Gut so. Und die Bandbreite jedes Trans-4-Festivals wie auch des Publikums ist das ganz Besondere daran.

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