Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Strafe für „Frau Präsidentin“
Die Plätzler feiern traditionell den Beginn der närrischen Zeit mit der Martinisitzung
WEINGARTEN - Wieder einmal sind die Narren los! So hat die Plätzlerzunft am Sonntag, 11.11., pünktlich um 11.11 Uhr bei der traditionellen Martinisitzung im Alten Ochsen unter dem Applaus von etwa 130 Zunftmitgliedern und Gästen die Fasnet eingeläutet. Mit dem Narrenmarsch. Mit dem Vermessen der Köpfe der Ehrennarrenkappen-Anwärter. Mit dem Narrenfahrplan. Und mit allerlei närrischen Einlagen vom Rathauschor, von Doktor Besserwisser und natürlich mit dem Abkassieren von Wallraffs für fasnetfeindliche Verfehlungen.
Es ist aber auch ein Kreuz mit den Bräuchen, mit der Sitzungskultur und vor allem mit den Fehlern, die selbst versierten Narren zu unterlaufen scheinen: Wer ab dem ultimativen Zeitpunkt Punkt elf nach elf keine Kopfbedeckung trägt, der muss Strafe – in diesem Fall den „Wallraff“– bezahlen. Sich eine hastig zurechtgeknickte Speisekarte auf den Kopf zu legen, das genügt nicht, fällt sofort auf – und kostet zwei Euro. Wer zu spät kommt (Bürgermeister Alexander Geiger) – bei dem wird Geld eingetrieben. Wer die Weingartener Stadtfarben sträflich missachtet, der muss Wallraff berappen (Bundestagsabgeordneter Axel Müller und je ein Vorstand der VR-Bank und der Sparkasse).
Auch wer wie ein vorschriftsmäßig gekleideter Marcus Schmid vom Stadtmarketing die Zunftmeisterin mit „Frau Präsidentin“anspricht, wird zur Kasse gebeten – sei die Anrede noch so charmant und Susanne Frankenhauser noch so belustigt. Und Frankenhauser selbst wird von ihrem Maskenmeister unter großem Hallo ebenfalls zur Kasse gebeten: weil sie eine schwarze Hose trägt und nicht den Rock, den die Maskenordnung für Frauen vorschreibe, wie Pirino Leopardi gespielt streng erläutert. Was sich hier zunächst schwer nach systematischer Abzocke anhört, das ist selbstverständlich alles mit einem närrischen Augenzwinkern gemeint und dient obendrein dem guten Zweck. Kommt der Erlös doch der Kinderkasse der Plätzlerzunft zugute oder wird in der Zunftstube in Form von Kaffee und Kuchen wieder ausgegeben.
Zum kurzweiligen Rahmenprogramm der Sitzung trägt wie immer Christopher Blank als Doktor Besserwisser bei. Der hat sich das vergangene Weingartener Jahr durch den schlauen Kopf gehen lassen und ist auf allerhand Abstruses aufmerksam geworden. So nimmt er den ersatzlos gestrichenen Badebus ins Visier und schlägt für den Bade-Bänkle-Shuttle das „Bürgertaxi Hund und Staud“vor: „Die beiden sind schließlich überall bekannt – und hätten Zeit ohne Ende, im Ruhestand“, reimt der Besserwisser. Die Stadtoberen könnten gar ein Stück inszenieren, um das schmerzhafte Vakuum der gestrichenen Klosterfestspiele zu kompensieren. Romeo und Julia (mit Reiner Beck und Sylvia Burg) könnte er sich vorstellen. Oder den Süskind-Klassiker „Das Parfum“– gespielt vor dem Rathaus. „Passend als Kulisse, das wär’ der Knüller – wär’ im Hintergrund der Drogeriemarkt Müller.“
Das sorgt – ebenso wie der angedachte „Ewald-Tower“im SchulerAreal – für Heiterkeit und Szenenapplaus bei den Gästen der Martinisitzung. Vize-Zunftmeister Thomas Gössling nimmt die Vermessung der Köpfe für die Ehrennarrenkappenträger vor (heuer: Elke Obser und Kurt Rieff). Dann wird wieder eine Runde geschunkelt, gesungen und ein tief aus der Narrenbrust kommendes „Breisgau – Ofaloch!“gerufen. So mancher Brezelorden wird verteilt, und auch Martin Hipp vom Mostclub amüsiert die närrische Gemeinde.
Eine Ode an die Nüchternheit
„Eine Ode an die Nüchternheit“hat er zum 111-jährigen Bestehen des Mostclubs geschrieben. Und auch der Rathauschor will sich erneut nicht lumpen lassen: Bürgermeister Geiger und sein Team haben zu viert ein fünfstimmiges Lied auf den Song „Wer hat an der Uhr gedreht“dabei, als dessen Highlight hinter vorgehaltener Hand die blinkenden VarietéHütchen gelten.
Nach knapp 90 Minuten nimmt eine „sehr gelungene, sehr pointierte Martinisitzung“ein verhältnismäßig frühes Ende, wie Zunftmeisterin Frankenhauser erklärt. Aber nur für den Moment. Denn der Fasnetszug der Plätzlerzunft kommt jetzt langsam aber sicher auf Touren. Der Weingartener Rathauschor (von links): Sylvia Burg, Rainer Beck, Alexander Geiger und Sabine Weisel singen fünfstimmig und sorgen damit für ordentlich Stimmung. Foto: Barbara Sohler Eine Speisekarte auf dem Kopf zählt nicht als Kopfbedeckung und wird bei der Martinisitzung im Alten Ochsen in Weingarten mit zwei Wallraff Strafe geahndet.