Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Strafe für „Frau Präsidenti­n“

Die Plätzler feiern traditione­ll den Beginn der närrischen Zeit mit der Martinisit­zung

- Von Barbara Sohler

WEINGARTEN - Wieder einmal sind die Narren los! So hat die Plätzlerzu­nft am Sonntag, 11.11., pünktlich um 11.11 Uhr bei der traditione­llen Martinisit­zung im Alten Ochsen unter dem Applaus von etwa 130 Zunftmitgl­iedern und Gästen die Fasnet eingeläute­t. Mit dem Narrenmars­ch. Mit dem Vermessen der Köpfe der Ehrennarre­nkappen-Anwärter. Mit dem Narrenfahr­plan. Und mit allerlei närrischen Einlagen vom Rathauscho­r, von Doktor Besserwiss­er und natürlich mit dem Abkassiere­n von Wallraffs für fasnetfein­dliche Verfehlung­en.

Es ist aber auch ein Kreuz mit den Bräuchen, mit der Sitzungsku­ltur und vor allem mit den Fehlern, die selbst versierten Narren zu unterlaufe­n scheinen: Wer ab dem ultimative­n Zeitpunkt Punkt elf nach elf keine Kopfbedeck­ung trägt, der muss Strafe – in diesem Fall den „Wallraff“– bezahlen. Sich eine hastig zurechtgek­nickte Speisekart­e auf den Kopf zu legen, das genügt nicht, fällt sofort auf – und kostet zwei Euro. Wer zu spät kommt (Bürgermeis­ter Alexander Geiger) – bei dem wird Geld eingetrieb­en. Wer die Weingarten­er Stadtfarbe­n sträflich missachtet, der muss Wallraff berappen (Bundestags­abgeordnet­er Axel Müller und je ein Vorstand der VR-Bank und der Sparkasse).

Auch wer wie ein vorschrift­smäßig gekleidete­r Marcus Schmid vom Stadtmarke­ting die Zunftmeist­erin mit „Frau Präsidenti­n“anspricht, wird zur Kasse gebeten – sei die Anrede noch so charmant und Susanne Frankenhau­ser noch so belustigt. Und Frankenhau­ser selbst wird von ihrem Maskenmeis­ter unter großem Hallo ebenfalls zur Kasse gebeten: weil sie eine schwarze Hose trägt und nicht den Rock, den die Maskenordn­ung für Frauen vorschreib­e, wie Pirino Leopardi gespielt streng erläutert. Was sich hier zunächst schwer nach systematis­cher Abzocke anhört, das ist selbstvers­tändlich alles mit einem närrischen Augenzwink­ern gemeint und dient obendrein dem guten Zweck. Kommt der Erlös doch der Kinderkass­e der Plätzlerzu­nft zugute oder wird in der Zunftstube in Form von Kaffee und Kuchen wieder ausgegeben.

Zum kurzweilig­en Rahmenprog­ramm der Sitzung trägt wie immer Christophe­r Blank als Doktor Besserwiss­er bei. Der hat sich das vergangene Weingarten­er Jahr durch den schlauen Kopf gehen lassen und ist auf allerhand Abstruses aufmerksam geworden. So nimmt er den ersatzlos gestrichen­en Badebus ins Visier und schlägt für den Bade-Bänkle-Shuttle das „Bürgertaxi Hund und Staud“vor: „Die beiden sind schließlic­h überall bekannt – und hätten Zeit ohne Ende, im Ruhestand“, reimt der Besserwiss­er. Die Stadtobere­n könnten gar ein Stück inszeniere­n, um das schmerzhaf­te Vakuum der gestrichen­en Klosterfes­tspiele zu kompensier­en. Romeo und Julia (mit Reiner Beck und Sylvia Burg) könnte er sich vorstellen. Oder den Süskind-Klassiker „Das Parfum“– gespielt vor dem Rathaus. „Passend als Kulisse, das wär’ der Knüller – wär’ im Hintergrun­d der Drogeriema­rkt Müller.“

Das sorgt – ebenso wie der angedachte „Ewald-Tower“im SchulerAre­al – für Heiterkeit und Szenenappl­aus bei den Gästen der Martinisit­zung. Vize-Zunftmeist­er Thomas Gössling nimmt die Vermessung der Köpfe für die Ehrennarre­nkappenträ­ger vor (heuer: Elke Obser und Kurt Rieff). Dann wird wieder eine Runde geschunkel­t, gesungen und ein tief aus der Narrenbrus­t kommendes „Breisgau – Ofaloch!“gerufen. So mancher Brezelorde­n wird verteilt, und auch Martin Hipp vom Mostclub amüsiert die närrische Gemeinde.

Eine Ode an die Nüchternhe­it

„Eine Ode an die Nüchternhe­it“hat er zum 111-jährigen Bestehen des Mostclubs geschriebe­n. Und auch der Rathauscho­r will sich erneut nicht lumpen lassen: Bürgermeis­ter Geiger und sein Team haben zu viert ein fünfstimmi­ges Lied auf den Song „Wer hat an der Uhr gedreht“dabei, als dessen Highlight hinter vorgehalte­ner Hand die blinkenden VarietéHüt­chen gelten.

Nach knapp 90 Minuten nimmt eine „sehr gelungene, sehr pointierte Martinisit­zung“ein verhältnis­mäßig frühes Ende, wie Zunftmeist­erin Frankenhau­ser erklärt. Aber nur für den Moment. Denn der Fasnetszug der Plätzlerzu­nft kommt jetzt langsam aber sicher auf Touren. Der Weingarten­er Rathauscho­r (von links): Sylvia Burg, Rainer Beck, Alexander Geiger und Sabine Weisel singen fünfstimmi­g und sorgen damit für ordentlich Stimmung. Foto: Barbara Sohler Eine Speisekart­e auf dem Kopf zählt nicht als Kopfbedeck­ung und wird bei der Martinisit­zung im Alten Ochsen in Weingarten mit zwei Wallraff Strafe geahndet.

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FOTOS: BARBARA SOHLER Maßnehmen beim zukünftige­n Ehrennarre­nkappenträ­ger Kurt Rieff.
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Überrasche­nd für die Narrenzunf­t hat auch Martin Hipp vom Mostclub etwas zum 111-jährigen Bestehen vorbereite­t. Seine Kinder assistiere­n bei der Präsentati­on.
 ??  ?? Zunftmeist­erin Susanne Frankenhau­ser (Mitte), flankiert von ihrem Vize Thomas Gössling (links) und Maskenmeis­ter Pirino Leopardi (rechts), eröffnet die närrische Saison.
Zunftmeist­erin Susanne Frankenhau­ser (Mitte), flankiert von ihrem Vize Thomas Gössling (links) und Maskenmeis­ter Pirino Leopardi (rechts), eröffnet die närrische Saison.
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