Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zuflucht Hauptfriedhof
Der Hauptfriedhof gehört zu den schönsten Orten Ravensburgs, was man nicht nur im Bildband „Ravensburg mit meinen Augen“des wieder gerne seine Heimatstadt besuchenden, weltberühmten Fotografen Guido Mangold sehen kann. Den „Ort der Toten für die Lebenden“, wie ihn Mangolds Neffe Klaus Nachbaur, ehemaliger Redakteur der Heimatzeitung und Autor der Texte zu Mangolds Fotos, nennt, bietet nicht nur Raum für unsere Trauer um unsere Verstorbenen, sondern ist auch in anderer Hinsicht Zuflucht. Beispielsweise für Vögel. Einst war er auch Zuflucht für Schüler der nahe gelegenen humanistischen Bildungsanstalt. Vor allem mittwochs, wenn in der Liebfrauenkirche der wöchentliche Schülergottesdienst für Gymnasiasten stattfand. Seinerzeit war volles Haus. Es fehlten nur drei Knaben. Sie schwänzten den „SchüGo“und schrieben in einer überdachten Ecke des Hauptfriedhofes ihre MatheHausaufgabe ab. Genauer gesagt: Zwei Ravensburger Gymnasiasten nahmen dem sozial eingestellten Klassenstreber aus Baienfurt die Lösungen nahezu unlösbarer Algebraoder Geometrie-Rätsel ihres Mathelehrers ab.
Der Spohn-Pädagoge hatte mir seinerzeit mehrmals im Schuljahr erklärt: „Du schwimmst und schwimmst und kommst nie mehr mit.“Was in jeder Hinsicht zutraf, wenn’s auch nicht gerade pädagogisch war. Wie’s dazu kam, dass er uns auf die Schliche kam, ist eine andere Geschichte. Gerade fällt mir noch ein, dass ein groß gewachsener Knabe aus der Oberstufe, welcher wenig später Fahnenschwinger der Landsknechte wurde, damals das Händchen eines von uns hoffnungslos umschwärmten Mädchens haltend, durch den Hauptfriedhof schlenderte, mittwochs statt SchüGo! Cooler Typ! Beneidenswert! Das ist aber auch wieder eine andere Geschichte.