Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gesucht: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Höflichkeit
Zimmerer beklagen das Fehlen von Sekundärtugenden bei Auszubildenden
WEINGARTEN - Landauf, landab wird gebaut. Das sorgt bei den Zimmerern im Landkreis für volle Auftragsbücher und steigenden Umsatz. „95 Prozent der Betriebe bewerten die Auftragslage als gut oder sehr gut. Der Umsatz ist 2018 um etwa 3,5 Prozent gestiegen“, berichtet Franz Moosherr, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, in einem Pressegespräch. „Im Schnitt haben die Betriebe Aufträge für die nächsten drei Monate.“Das bestätigt der Weingartener Zimmerer Richard Heisele, der seit Frühjahr dieses Jahres Obermeister der Zimmerer-Innung ist (siehe Info-Kasten).
Auch sonst läuft es gut bei den Zimmerern. Im Gegensatz zu anderen Handwerkern können sie sich nicht über fehlenden Nachwuchs beklagen. „Aktuell werden 110 Lehrlinge ausgebildet. 47 Absolventen haben dieses Jahr ihre Gesellenprüfung abgelegt“, berichtet Heisele stolz. „Das ist höchstes Niveau.“Einen Wermutstropfen gibt es dennoch: „Diese Zahlen werden wir nächstes Jahr nicht mehr erreichen“, so der Obermeister. „Die Ausbildungszahlen sinken leicht.“
Das liegt nicht etwa daran, dass sich weniger Jugendliche für den Beruf interessieren oder ihre schulische Qualifikation für die Ausbildung nicht ausreicht. Im Gegenteil: „Immer mehr Abiturienten erlernen das Handwerk“, sagt Heisele. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt das „Biberacher Modell“. Diese Kombination aus Studium und Ausbildung bieten in Biberach die Hochschule und das Zimmerer-Ausbildungszentrum in Kooperation an. Nach gut fünf Jahren haben die Auszubildenden nicht nur ihren Gesellen- und ihren Meisterbrief, sondern auch noch einen Ingenieurabschluss (Bachelor of Engineering) in der Tasche. Im „Biberacher Modell“sieht Heisele auch den Grund dafür, dass sich der Anteil der weiblichen Lehrlinge verdoppelt hat – von zwei auf vier Prozent. Damit ist er doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt.
Dass die Ausbildungszahlen dennoch leicht im Sinken begriffen sind, hat aus Sicht von Richard Heisele andere Ursachen. „Ich habe mit Vorstandskollegen darüber gesprochen. Bei manchen Jugendlichen fehlt es an den sogenannten Sekundärtugenden. Oder ‚Soft Skills‘, wie man heute dazu sagt. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Durchhaltevermögen, Höflichkeit“, so der Weingartener. Höflichkeit? „Die Mitarbeiter und Auszubildenden haben direkten Kontakt zum Kunden. Sie sind die Visitenkarte des Betriebs“, erklärt er. „Die Jugendlichen müssen sich in der Ausbildung anpassen, sich in den Betrieb einfügen und dort ihren Platz finden. Das fällt manchem, der es gewohnt ist, dass sich alles um ihn dreht, schwer.“Heisele, der selbst ausbildet, nennt ein Beispiel, um das zu verdeutlichen: „Wenn einer nicht gern aufsteht und immer zu spät kommt, guck ich mir das zwei, drei Wochen an. Wenn klar wird, dass sich das nicht ändert, beende ich das Ausbildungsverhältnis in der Probezeit.“
Jahresumsatz: 79 Millionen Euro
Das führt dazu, dass die 63 Innungsbetriebe im Landkreis weniger ausbilden, als sie könnten und auch wollten. Die Ravensburger Innung umfasst den ganzen Landkreis und ist die größte Zimmerer-Innung in Baden-Württemberg. Ihre Mitgliedsbetriebe beschäftigen rund 400 Mitarbeiter. In Summe erwirtschaften sie einen Umsatz von 79 Millionen Euro im Jahr. „Das ist eine Menge Holz“, sagt Franz Moosherr. Sollte der Bauboom anhalten, wird daraus noch mehr. „Aber trotz guter Auftragslage lässt ein Zimmerer einen Kunden in Not nicht hängen. Wenn es zum Dach reinregnet, ist er zur Stelle“, beteuert Moosherr.