Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Südwest-SPD bündelt die Macht
Fraktionschef Stoch übernimmt Landesvorsitz – Partei sucht Einigkeit
SINDELFINGEN - Die SPD BadenWürttemberg hat einen neuen Vorsitzenden. Im Duell mit dem Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci hat sich der Fraktionschef im Stuttgarter Landtag Andreas Stoch am Samstag in Sindelfingen durchgesetzt. Vor allem ein Thema beherrschte den Landesparteitag: die internen Grabenkämpfe, die in den vergangenen Wochen hart ausgefochten wurden.
Das Ergebnis war denkbar knapp: Andreas Stoch wählten 159 Delegierte und damit 50,6 Prozent. Für Lars Castellucci stimmten 151 Genossen, was 48,1 Prozent entspricht. Vier Delegierte enthielten sich. Castellucci rief die Parteimitglieder daraufhin zur Versöhnung und zur Einigkeit auf. „Jetzt stehen wir zusammen, hinter Andi Stoch und hinter dem neuen Landesvorstand.“
Parteilager im Kriegszustand
In den Wochen vor dem Wahlparteitag hatten sich die verschiedenen Lager in der Südwest-SPD regelrecht bekriegt – unter anderem auf den sozialen Plattformen im Internet. Die Landespartei ist ohnehin gespalten – in Vertreter des linken Flügels, zu denen die bisherige Landeschefin Leni Breymaier zählt, und in die sogenannten Netzwerker, denen Castellucci zugerechnet wird, obwohl er dies anders sieht. Die Grabenkämpfe hatten Fahrt aufgenommen, als Castellucci seine Kandidatur gegen Breymaier angekündigt hatte. Sie hatte den Mitgliederentscheid knapp gewonnen – zu knapp für sie. Daher hatte sie am Dienstag den Rückzug von der Spitze angekündigt. Castellucci hatte an seiner Bewerbung trotz Niederlage festgehalten. Und am Donnerstag hatte schließlich auch ExKultusminister Stoch seine Kandidatur erklärt. Noch am Samstag hatte kein Parteimitglied mit Sicherheit sagen können, wer gewinnen würde. Beide Kandidaten versuchten, die Delegierten mit emotionalen, kämpferischen Reden zu gewinnen – beide betonten als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, die Partei zu einen. „Ich will, dass wir ab morgen wieder zusammenarbeiten – egal, wie das heute ausgeht“, betonte Castellucci. Und Stoch erklärte: „Was ich als besonders lähmend betrachte, ist der Verlust des Respekts vor den Leuten in unserer eigenen Partei.“Beide riefen die Genossen dazu auf, ihre Kraft auf den Kampf gegen die politischen Feinde außerhalb der eigenen Reihen zu legen.
40 Delegierte nutzten die Gelegenheit zur Aussprache – und fast jeder schimpfte über den Umgang der Genossen miteinander. „Ich mache mir große Sorgen um den Zustand unserer Partei“, sagte etwa IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger. „Wir beschäftigen uns nur mit uns selbst, wir beschädigen uns nur selbst. Wir müssen diesen Unfug überwinden.“Denn, so sagte es Marian Schreier, Bürgermeister von Tengen im Kreis Konstanz: „Niemand traut am Ende einem Laden, der sich nicht gegenseitig über den Weg traut.“Genervt fügte Simon Özkeles vom Kreisverband Biberach an: „Seit Jahren schlagen sich die beiden Flügel gegenseitig die Köpfe ein, statt Politik für die Menschen zu machen.“Dem sonst so besonnenen Landtagsabgeordneten Peter Hofelich platzte schließlich der Kragen: „Die stolze Volkspartei SPD ist doch nicht RTL am Nachmittag.“
Frederick Brütting, Bürgermeister von Heubach auf der Ostalb, trat nicht mehr als stellvertretender Landesvorsitzender an. Er habe lange genug Funktionen bekleidet, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“– unter anderem als Juso-Vorsitzender. „Schon bei den Jusos gibt es seit 20 Jahren Fronten, das setzt sich in der Partei fort“, so Brüttings Analyse. Seine Hoffnung: „Nach heute werden sich alle am Riemen reißen.“Der frühere Juso-Chef Leon Hahn aus Friedrichshafen nannte den Parteitag das „reinigendste Gewitter der SPD im Land seit vielen Jahren“.
Das wünschte sich auch Jan-Peter Bukowski vom Ravensburger Kreisverband. Mit 17 Jahren war er das jüngste männliche Delegationsmitglied in Sindelfingen. „Was heute gesagt wurde, muss man jetzt auch umsetzen“, forderte er. Er hätte sich Castellucci als neuen Vorsitzenden gewünscht. Dennoch: „Die Castellucci-Leute sollen jetzt hinter der demokratischen Wahl stehen.“Hinter Stoch samt Führungsteam, das sich stark verändert hat.
Lediglich der Schatzmeister KarlUlrich Templ bleibt mit 90 Prozent Zustimmung im Amt. Und die Landtagsabgeordnete Gabi Rolland bleibt Vize-Vorsitzende. Sie ist mit 75,5 Prozent für den Bezirk Südbaden wiedergewählt worden. Für Nordbaden löst Parsa Marvi (79,9 Prozent) nun Lars Castellucci ab. Statt Frederick Brütting vertritt Jasmina Hostert (80,1 Prozent) Nordwürttemberg. Die langjährige Vize-Vorsitzende und linke Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis war nicht mehr angetreten. Die Tübinger Kommunalpolitikerin Dorothea Kliche-Behnke (76 Prozent) steht künftig für Südwürttemberg. Um einige Vize-Posten hatte es mehrere Kandidaturen gegeben. Beim Parteitag stand jedoch nur ein Bewerber pro Platz zur Wahl.
Nachdem auch Luisa Boos nicht mehr als Generalsekretärin angetreten war, war der Weg frei für den Vize-Fraktionschef im Landtag Sascha Binder. Er bekam 69,4 Prozent der Stimmen. Dass die Macht nun stärker als bislang konzentriert ist – Stoch ist Fraktions- und Landeschef, er als auch Binder sind im Landtag – deutete Stoch nicht als Makel. „Wir wollen mit den Menschen über Themen diskutieren, die wir hier in Baden-Württemberg lösen können.“Eines wolle er gleich am Montag angehen: ein Volksbegehren, um die grünschwarze Landesregierung zur gebührenfreien Kita zu bewegen. Wie sie mehr Einigkeit in der Partei erreichen wollen? „Wir werden im Landesvorstand mit gutem Beispiel vorangehen“, sagte Binder.
Stoch würdigt Breymaier
Stoch würdigte seine Vorgängerin als „wichtige Sozialdemokratin fürs Land“und sagte: „Ich habe noch selten erlebt, dass jemand seine Aufgabe so mit Leib und Seele angenommen hat.“Nur ein Mal brach der scheidenden Landesvorsitzenden Breymaier die Stimme: als sie sich bei ihrer Generalsekretärin Boos bedankte. Ihren Genossen redete auch sie ins Gewissen, indem sie auf die widrigen Umstände für frühere Sozialdemokraten verwies – etwa im Zweiten Weltkrieg. „Denen sind wir es schuldig, dass wir unser Geschäft hier gut machen. Es geht nicht um Personen. Es geht um die Partei.“