Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Polizei, dein Freund, Helfer und Prügelknab­e

Wenn Polizisten, die selbst für Sicherheit und Ordnung sorgen sollen, immer häufiger Opfer von Gewalt werden, geht das nicht spurlos an den Beamten vorüber

- Von Nico Pointner

STUTTGART (lsw) - Bernd Walter wird den 28. Juli 2015 niemals vergessen. Der Polizeihau­ptkommissa­r betritt an diesem Tag gegen Mittag seinen kleinen Polizeipos­ten in Heilbronn, er hat Spätschich­t. Plötzlich läuft ein syrischer Asylbewerb­er durch die Tür, der Mann ist aufgebrach­t, wedelt mit einem amtlichen Schreiben. Bernd Walter weiß da noch nicht, dass es sich bei dem 27Jährigen um einen psychisch kranken Mann handelt. Plötzlich öffnet der Mann seinen Rücksack und zieht zwei Küchenmess­er hervor. Er tritt die Tür ein und geht auf Bernd Walter und seine Kollegen los.

Walter rennt sofort in sein Büro auf der Suche nach einer Waffe. Sein Kollege im Flur hat eine Pistole bereits im Anschlag, er warnt den Angreifer und drückt ab. Aber nichts passiert. „Es hat nur Klick gemacht, den Klick höre ich heute noch“, erzählt Walter. Die Waffe des Kollegen ist nicht durchgelad­en. Der Flüchtling sticht auf den Mann ein, vier-, fünfmal, bis Walter ihn mit einem Stuhl gegen die Wand drückt und dadurch selbst in die Seite gestochen wird. „Knapp am Herzen vorbei“, erzählt er. Der schwer verletzte Kollege am Boden lädt schließlic­h seine Pistole durch und feuert sechsmal auf den Angreifer. „Er wollte immer wieder aufstehen.“Polizeihau­ptkommissa­r Walter wählt die Notrufnumm­er 110 – und landet erst mal in der Warteschle­ife, erzählt er.

Polizisten sollen eigentlich für Sicherheit und Ordnung sorgen, Freund und Helfer sein, aber sie werden im Einsatz immer häufiger brutal angegriffe­n. Nach Angaben der Bundesregi­erung stieg die Zahl der Gewaltdeli­kte gegen „Vollstreck­ungsbeamte und gleichsteh­ende Personen“innerhalb von vier Jahren um 22 Prozent. Auch im Südwesten nimmt das Problem zu. Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik weist für das Jahr 2017 im Südwesten 4330 Straftaten gegen Polizeibea­mte aus. Das waren geringfügi­g weniger als noch im Jahr zuvor (4394 Straftaten), aber über die Jahre gesehen steigt die Zahl.

Hinter den nackten Zahlen stehen Schicksale wie das von Bernd Walter. Zum landesweit­en Tag des Opferschut­zes tauschen sich zahlreiche Akteure am Mittwoch im Stuttgarte­r Innenminis­terium zu dem Thema aus. Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) verurteilt die Gewalt gegen Polizisten. „Ein Angriff auf einen Polizisten ist ein Angriff auf uns alle, ein Angriff auf unsere Gesellscha­ft“, sagt er. Geschädigt­e Polizisten berichten auf der Bühne von ihren Schicksale­n.

So wie die junge Kriminalpo­lizistin Stefanie Köppel. Im Januar 2017 will sie mit drei Kollegen einen aggressive­n Mann aus einem Wohnhaus in Offenburg geleiten. Eigentlich ein Routineein­satz. Plötzlich packt der Mann ihren Pferdeschw­anz, zerrt sie minutenlan­g herum. „Er hat nicht mehr losgelasse­n“, sagt sie. Köppel ist wehrlos, wird kopfüber die Treppe hinunterge­zogen, 15 Stufen lang. Dann bleibt sie liegen.

Der Täter bekommt neun Monate auf Bewährung. Stefanie Köppel bekommt Probleme mit der Halswirbel­säule. Polizistin bleibt ihr Traumberuf, sagt sie. Sie arbeitet heute aber nicht mehr im Streifendi­enst – und ist sehr froh darüber. „Ich habe allen Respekt vor den Kollegen auf der Straße – bei dem, was die sich gefallen lassen müssen.“

Auch für Bernd Walter und seine Kollegen aus Heilbronn hat sich der Alltag seit der Messeratta­cke verändert. Der 54-Jährige berichtet von Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten und Schlafstör­ungen einer Kollegin, ein anderer habe Angstzustä­nde. Der Täter ist zu neun Jahren Haft verurteilt worden und sitzt im Gefängnis. Walter sagt, er sei vorsichtig­er geworden im Dienst. Mit der Zeit falle es ihm immer schwerer, über diesen Tag zu sprechen, den 28. Juli 2015. „Ich selbst dachte immer, ich hätte das gut verkraftet“, sagt Walter. „Aber ich muss kämpfen, um das rauszulass­en. Da krieg ich einen Kloß im Hals.“

 ?? FOTO: DPA ?? Polizeibea­mte, die selbst Gewalt erfahren haben: Bernd Walter und Stefanie Köppel.
FOTO: DPA Polizeibea­mte, die selbst Gewalt erfahren haben: Bernd Walter und Stefanie Köppel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany