Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Er ist für Viele seit Jahren zum Begleiter im neuen Jahr geworden, der zum Schmunzeln verleitet, zum Entdecken, so manchen Monat vielleicht auch Wehmut erzeugt, denn er bewahrt in schwarz/weiß regionale Traditionen von Handwerk und Höfen, von Formen ländlicher Kommunalität, die verdrängt wurden und werden und mit ihnen eben nicht nur Muff und Enge der Provinz, sondern Identität und soziale Netzwerke. Nun ist er zum 45. Mal erschienen – der Oberschwäbische Kalender.
Eine stolze Leistung, auch für 2019 die beliebte Mischung aus Schwäbisch, historischen Fotos und Design zum Kultobjekt zu machen und doch nicht zu erstarren, weshalb gezeichnete Motive ein „jüngeres“Element sind, mit der Kraft der Fotografie so recht aber doch nicht konkurrieren können. Am stärksten aber das Schwäbisch, dem gegenüber die dumpfbackigen Varianten von vorgeblichem „Bauerntheater“oder eines „Hannes und dr Bürgermoischtr“eine Beleidigung von Bauern, noch so unfähigen Polikern wie des Dialektes sind.
Der Dialekt im 2019-Kalender ist wie Musik, um ein Wort wie Sau herumgewoben, wie minimalistische Variationen mit Thema: „Sauglick, Saumensch, Saubloter, saudomm, saugscheid.“Ein Foto von oben, eine Menschenansammlung unter Schirmen, jeder anders. Wie die schwäbischen Adjektive dazu – „verbudled, verdrieled, oifärbig, dupfed, verratzt, gschdombed“. Und aus einem Spiel mit Wörtern und Schirmen wird eine subtile politische Botschaft: „Jeder halt anderschd.“ Noch charmanter aus der sprachlichen Hinterhand ist dies mit dem Kalendertitel gelungen: „nagugga“. Auf Hochdeutsch hinsehen. Ein paar Buchstaben dazu, und aus einem Wort wird eine soziale, eine soziologische Analyse – weg gugga, noch de andre gugga, iebr de andre ra gugga“. Das, was unsere Gesellschaft so rasend schnell ver- ändert – nicht mehr nach dem Anderen schauen, über die anderen hinweg-, auf sie herabschauen. Da wird ein schwäbischer Titel hoch aktuell, denn um dieses Wort kreiste die Dankesrede des Historikers Götz Aly zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises an ihn. „Weggugga, statt nagugga“. Warum sah das deutsche Volk weg? Im Faschismus.
Und heute? Noch immer oder schon wieder? Der Oberschwäbische Kalender ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.
Nach der faszinierenden Bandbreite an Künstlern und künstlerischen Genres in der Kunsthalle Ravensburg, Gottlieb-Daimler-Str 28, im Dezember 2017, findet wieder ein Kunstmarkt mit ca 150 Arbeiten von regionalen und internationalen Künstlern statt. Bis 28. Dezember, Fr 15 – 18 Uhr, Sa / So 14 – 16 Uhr.
Im Licht ganz besonderer Lampions ist am Sonntag 2.Dezember um 17 Uhr das Harmonika-Orchester Gross zu hören – St. Johannes Kirche in Obereschach, Kirchweg 2.
wolfram.frommlet@t-online.de