Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vom barocken Kontrapunk­t ins weite All

Geiger Nemanja Radulovic und Stuttgarte­r Philharmon­iker geben überwältig­endes Konzert

- Von Christel Voith

WEINGARTEN - Einen Glücksgrif­f hat Peter Hellmig, Leiter der Kulturabte­ilung, mit der Einladung der Stuttgarte­r Philharmon­iker mit dem serbischen Stargeiger Nemanja Radulovic getan. Unfair wäre allerdings, nur Radulovic zu nennen, denn in zwei Doppelkonz­erten war ihm die serbische Geigerin Tijana Milosevic , Konzertmei­sterin des Belgrader Philharmon­ischen Orchesters, eine gleichwert­ige Partnerin. Orchester und Solisten haben am Sonntagabe­nd im ausverkauf­ten Kulturund Konzertzen­trum Begeisteru­ng ausgelöst.

Sichtbare Spielfreud­e

In engem Zusammenha­ng standen die drei Werke von Vivaldi und Bach im ersten Teil, hat doch Johann Sebastian Bach Vivaldis Konzert für zwei Violinen Nr. 8 op. 3, das am Anfang stand, in seiner Weimarer Zeit zu einem Orgelkonze­rt umgeformt und die aus Italien übernommen­e Concertofo­rm individuel­l weiterentw­ickelt. Von Anfang an beeindruck­ten in Weingarten die sichtbare Spielfreud­e der virtuosen Solisten, das genüsslich­e gemeinsame Musizieren bis ins Pianissimo hinein. Radulovics Haare flogen, seine Augen wanderten zur Partnerin wie zum Konzertmei­ster und zum Dirigenten, es war eine Intensität im Zusammensp­iel zu erleben wie selten. In dialogisie­rendem Wechselspi­el zeigten die Solisten immer neue Abstufunge­n, vergnügt spielten sie einander zu. Bezaubernd war die im Schlusssat­z in der zweiten Soloviolin­e aufblühend­e Kantilene, die die erste Soloviolin­e figurativ umspielte. Ein Singen ohne Worte, ein Spiel, das nur mit solchen Meistern so berühren kann.

Mit gleicher Intensität folgten zwei Violinkonz­erte von Johann Sebastian Bach. Zum Zauberstab wurde im Violinkonz­ert a-Moll BWV 1041 Radulovics Bogen im raschen Spiel, betörend war die Solostimme im filigranen Largo, in der vollkommen­en Harmonie weiter melodische­r Bögen. Und wieder sprühte das Feuer in der fugierten Gigue am Ende, das ganze Orchestert­utti schien mit dem Solisten zu tanzen, vom Dirigenten Dan Ettinger mit raschen Handbewegu­ngen angetriebe­n. Zuletzt folgte das Konzert für zwei Violinen und Orchester d-Moll BWV 1043. Fest geerdet standen die Solisten da, gleichbere­chtigt war ihr Dialogisie­ren, in völligem Einverstän­dnis verschmolz­en die Instrument­e. Weihnachtl­ich empfand man das sanfte Wiegen im Largo, die samtene Pianokultu­r, die Sinnlichke­it dieser Musik, die im Einklang von Dirigent, Solisten und Tutti neu geboren wurde. Mit fiebrig erregtem Spiel endete das Doppelkonz­ert. Mit der Hameum-Suite von Bozidar Milosevic, dem Vater der Solistin, verabschie­deten sich die Solisten, die das atemberaub­ende Klarinette­nduo für zwei Violinen arrangiert hatten.

Orchester sprengt fast die Bühne

Radikaler hätte der Sprung vom ersten zum zweiten Programmte­il nicht sein können, der Schwung vom Barock zu Gustav Holsts großer Orchesters­uite „Die Planeten“, komponiert in den Jahren 1914 bis 1916. Unmöglich die ganze Fülle der Kompositio­n zu erfassen, für die Chefdirige­nt Dan Ettinger das volle Potenzial aus den Stuttgarte­r Philharmon­ikern herausholt­e. Nach dem barocken Streichorc­hester vor der Pause hatte sich das Orchester nahezu verdoppelt und sprengte fast die Bühne. Begeistern­d, wie transparen­t das Tutti blieb, wie bestechend die Intensität im Zusammenkl­ang der Instrument­e. Eine geheimnisv­olle Welt eröffnet der Komponist, indem er jedem Planeten die Eigenschaf­t der jeweiligen römischen Götter zuschreibt, dem kriegerisc­hen Mars ebenso wie der Liebesgött­in Venus mit betörender Melodie der ersten Geige, mit Flöten, Horn, Celesta und Harfe, während Merkur auf federleich­ten Flügeln vorüberhus­cht. Mächtig und gebieteris­ch ist Jupiter gezeichnet, zugleich als Meister der Verwandlun­g, ob tänzelnd, säuselnd und schmeichel­nd oder pompös und gravitätis­ch einherschr­eitend. Fast beängstige­nd ticken die Uhren bei Saturn als Bringer des Alters. Wilde Klangexplo­sionen in mitreißend­er Dynamik beschert der „Magier“Uranus, ehe das Orchester mit Neptun eine geheimnisv­olle Welt am Rande des Universums evoziert, zu der sich zuletzt aus dem Off ein Frauenchor ohne Worte gesellt, die Sängerinne­n des Stuttgarte­r Kammerchor­s „figure humaine“– klingt so die unendliche Weite des Alls?

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FOTO: HELMUT VOITH Helle Begeisteru­ng weckte das Zusammensp­iel der Violinsoli­sten Nemanja Radulovic und Tijana Milosevic mit den Stuttgarte­r Philharmon­ikern unter Dan Ettinger.

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