Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mesale Tolu bewegt die Gemüter
Journalistin aus Ulm spricht beim „Talk im Bock“über ihre Haft in der Türkei
LEUTKIRCH - Erst stürmt eine AntiTerroreinheit im April 2017 ihre Wohnung, dann sitzt sie mit ihrem zweijährigen Sohn monatelang in einem türkischen Gefängnis fest. Das Schicksal der deutschen Journalistin Mesale Tolu bewegt viele Menschen. Das hat sich am Montag auch beim „Talk im Bock“in Leutkirch gezeigt. Mehr als 180 Besucher nutzten die Gelegenheit, die 33-Jährige im Gespräch mit Moderator Andreas Müller live zu erleben.
Bereits zehn Minuten nach dem offiziellen Einlass ist der Bocksaal rappelvoll. Sämtliche Sitz- und Stehplätze sind belegt. Am Eingang muss Karl-Anton Maucher, Leiter der Leutkircher Volkshochschule, etliche Interessierte wieder nach Hause schicken. Diejenigen, die einen Platz ergattern konnten, begrüßen Mesale Tolu wenige Minuten später mit frenetischem Applaus. Der Talk-Gast verbeugt sich höflich vor dem Publikum und macht es sich auf seinem Stuhl auf dem Podium bequem.
Die Tortour der vergangenen Monate ist der Ulmerin zu keiner Zeit anzumerken. Klar und gut gelaunt stellt sie sich den Fragen von Andreas Müller. Und das, obwohl der Journalistin in der Türkei theoretisch weiterhin bis zu 20 Jahren Haft drohen. Der Vorwurf: Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Die Türkei wirft ihr Unterstützung der verbotenen linksextremen Gruppe MLKP vor. Tolu weist die Anschuldigungen zurück. Im Januar soll ihr Gerichtsprozess fortgeführt werden. Ob sie dafür erneut in die Türkei reist, entscheide die 33-Jährige spontan. „Es gibt keine Anwesenheitspflicht“, sagt sie.
Stille im Bocksaal
Als Mesale Tolu von ihrer Festnahme erzählt, herrscht Stille im Bocksaal. Konzentriert folgen die Zuhörer den Beschreibungen der Nacht auf den 30. April 2017. Rund 3,5 Stunden lang habe eine schwer bewaffnete Anti-Terroreinheit die Wohnung von ihr und ihrem Ehemann Suat Çorlu – er wurde bereits drei Wochen früher verhaftet – durchsucht. Und das vor den Augen ihres zweijährigen Sohnes. Das Szenario sei mit einem „schlechten Actionfilm“vergleichbar gewesen. Mehrere Zuhörer in Leutkirch bringen ihr Unverständnis über das Vorgehen der türkischen Männer durch leichtes Kopfschütteln zum Ausdruck. „Sie haben alles heruntergeschmissen und kaputt gemacht“, erzählt Tolu. Belastbares habe die Sondereinheit hingegen nicht gefunden. Ihren Sohn musste sie nach der Verhaftung kurzzeitig bei ihren Nachbarn zurücklassen.
Es folgten acht Monate im Gefängnis. Zunächst seien der Journalistin die einzelnen Anklagepunkte gar nicht bekannt gewesen. Weil sich ihr Sohn von seiner Mutter verlassen gefühlt habe, nahm sie ihn bereits nach einigen Tagen zu sich ins Gefängnis. Trotz der betrübten Situation erzählt Tolu im Bocksaal heiter von Erlebnissen in der Gemeinschaftszelle. Außer zwei Plüschtieren und einem Ball seien ihrem Sohn keine Spielzeuge gestattet worden.
Natürlich habe sie im Gefängnis auch schwere Momente erlebt. Kraft gegeben habe ihr dann unter anderem der Zusammenhalt unter den Inhaftierten und das Wissen, dass andere Frauen im Gefängnis „viel schlimmeres ertragen haben“. Sie meint damit zum Beispiel Mütter, die ihre Babys hinter verschlossenen Türen zur Welt bringen mussten. Geholfen hat auch die Anteilnahme von vor allem Frauen aus aller Welt, die aufmunternde Briefe ins Gefängnis geschickt hätten. „Die Solidarität hat eine positive Kraft hergestellt“, ist sich Tolu sicher. An vielen Stellen gibt’s während des Talks Applaus. So etwa, als die Ulmerin davon erzählt, wie sie die Erlebnisse verarbeitet: „Ich rede darüber. Ich will, dass alle wissen, welche Zustände in der Türkei herrschen.“Mit öffentlichen Auftritten will sich Tolu mit vielen Menschen, die immer noch inhaftiert sind, solidarisieren und ihnen dadurch Mut geben. Die emotionale Verbundenheit mit anderen Inhaftierten habe auch dazu geführt, dass sie sich nach eigenen Worten nicht wirklich freuen konnte, als sie Monate nach ihrer Freilassung wieder nach Deutschland reisen durfte.
Häufiger Applaus
Beifall erhält Tolu zudem bei Erzählungen zum Prozessbeginn im Oktober 2017. Mit dem Wissen, dass die internationale Presse anwesend ist, habe sie sich vor Gericht enthusiastisch verteidigt. „Die Öffentlichkeit musste mich hören. Das war mir wichtig“, sagt die Journalistin. Dankbar ist sie letztlich dafür, dass es eine „überparteiliche Unterstützung“aus Deutschland gab, die dazu führte, dass an einem Strang gezogen und dadurch ihre Freiheit erkämpft wurde. Zwischen drei Gesprächsblöcken beim „Talk im Bock“gibt es einige Minuten Pause. In diesen Phasen bleibt Mesale Tolu gemeinsam mit Andreas Müller auf dem Podium. Dabei schnappt sie sich zeitweise ihr Handy, um ein Selfie mit dem gefüllten Bocksaal im Hintergrund zu schießen. Der ein oder andere Zuschauer tritt derweil schüchtern vor die Bühne, um ein Foto vom Gesprächsgast zu machen.
Die Saalspende von fast 1500 Euro fließt nach Wunsch von Mesale Tolu an eine türkische Menschenrechtsorganisation.